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Seite:Harz-Berg-Kalender 1920 034.png

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     Ein Weilchen noch strahlt in hoher Luft ein orangefarbenes Abendwölkchen. Es wird zarter und zarter, verblaßt gemach und löst sich leise auf. Wie ein goldener Traum, der in Nichts zerrinnt.

     Über das Hai streicht schmeichelnd ein laues Wehen und haucht weich durch die nickenden Gräser. Braune Wurmfarnwedel pendeln auf und nieder und im Heidelbeerkraut raschelt und tuschelts. Tändelnd spielt der Wind mit den letzten roten Fingerhutglocken, die mit verglimmender Glut drüben am morschen Wildgatter verblühen. Müde faltet der zierliche Sauerklee seine zarten Blättchen zusammen. Seidene Spinngewebe segeln planlos durch die Luft, und weiße Waldmotten huschen taumelnd vorüber. Ein Zug verspäteter Krammetsvögel fliegt schackernd zu Holze. Im Walde irgendwo krächzt eine einsame Krähe, die noch keine Schlafstätte fand. Vom Gipfel einer Jungfichte grüßt ein Rotkelchen die allerletzte matte Helle am fahlen Abendhimmel, die weit hinten den Saum ferner Berge küßt. Es schaut mit den schwarzen Perlaugelchen noch einmal in die Runde und singt ein paar silberne Töne in die träumende Dämmerung hinaus. Dann wetzt es den Schnabel am grünen Ast und schlüpft in die schützende Dickung. Hinterm Hochwald blinkt bleich der erste Stern.

     Auf der Blöße und im Walde wird es still. Mit dem Rotkelchen scheint alles Leben schlafengegangen zu sein.

     Und dennoch pocht der Herzschlag der Natur weiter. Nur leiser regt er sich, stiller als am Tage. Und nur dem Ohr vernehmbar, das fähig ist, den zartesten Regungen des Waldabends zu lauschen. Alle jene seinen Stimmen und Stimmlein, die im Geräusch des Tages Untergehen, erst die Ruhe des Abends bringt sie liebreich zur Geltung. Da ist das Piepen des Mäusleins unter Wurzeln und Spren. Da ist das sanfte Sirren in trockenen Grashalmen, das Rascheln in dürren Himbeerblättern, die lauter Abendwind leise bewegt. Wer vernimmt’s am lauten Tage? Da ist das Rauschen des Bächleins im Tal, das sein uralt-altes Schlummerlied singt. Wann klingt es süßer, heimlicher als in dämmernder Nacht? Und im feuchten Moose irgendwo tropft silberhell ein heimliches Quellchen: klink, klunk, klink . . . . Der Wind trägt ein träumerisches Säuseln aus dem Wald her. Oder das kurze Knacken eines spröden Astes wenn ein Rotwildrudel auf auf verborgenen Wechseln zur Äsung zieht. Oder das erschreckte Flattern eines aufgewachten, schlaftrunkenen Vogels. Oder von weither verlorenes, verwehtes Abendläuten, in das das sanfte Rauschen des Waldes weich hineintönt wie ein feierliche verklingender Choral.

     Von den Sternen fließt mildes Licht hernieder in die träumende Dunkelheit der Berge. Und es ist, als ob mit ihrem stillen Leuchten sich ein Hauch jenes Ewigkeitsfriedens über die düstere Waldnacht ergösse, in dem sie droben schweigend ihre geheimnisvolle Bahn wandern. In stumme Andacht schauen die Fichten in das Geflimmer hinauf. Der Herrgott schwebt durch das Weltenall. Die Wildnis betet flüsternd ihr Nachtgebet, und das Quellchen im Moose läutet leise das Silberglöcklein dazu: klink, klunk, klink . . . .