Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1903 | |
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hatte, und sein Sarg schon ganz verfallen war,
da wurde er unversehrt wieder ausgegraben und in das
Haus gebracht, in dem die Todtenbahren stehen. Da
wurde er mehrmals den Leuten vor das Haus gestellt,
um sie zu erschrecken, und es ward so viel
Unfug mit ihm getrieben, daß man beschloß, der
Sache ein Ende zu machen, und ihn an das Museum
zu Göttingen zu schicken. Da steht er nun, wenn man
die Museumstreppe heraufkommt, gleich am Eingange.
Ein Nachtschichter, der im Spiegelthaler Pochwerk
arbeitet und eben untergeschürt hat, setzt sich an
einem schönen Sommerabend vor das Pochwerk auf
die Bank und verzehrt sein Abendbrot. Die Tannen
riechen so angenehm, und die Vögel singen so schön,
daß es eine wahre Lust ist, da so allein zu sein.
Als der Nachtschichter so recht vergnügt über das
alles ist und sich über die Welt freut, die der liebe
Gott so schön gemacht hat, kommt ein Vogel geflogen
und legt sich dem Nachtschichter gegenüber auf einen
Tannenzweig; dann hüpft er näher zu dem Nachtschichter.
Es ist, als wolle er sich ordentlich sehen
lassen. Als aber dieser aufsteht und dem Vogel näher
kommt, da fliegt das Thierchen fort und ist in den
Tannen verschwunden. Am andern Abend nimmt
der Nachtschichter etliche Leimruthen mit an die Arbeit,
bindet dann eine starke an eine lange Stange und
denkt damit den Vogel zu ergattern, wenn er wieder
käme. Anfänglich läßt der Wundervogel lange auf
sich warten, am Ende erscheint er; als aber der Nachtschichter
ihm mit der Leimruthe nahe kommt, zieht
er sich zurück und verschwindet wieder im Tannenwald.
So geht’s drei Tage. Am dritten Abend
Lockt der Vogel den Nachtschichter den Berg hinauf
und da läßt er sich fangen. Kaum hat ihn aber der
Nachtschichter in der Hand, so verwandelt sich der
Vogel in eine wundersam schöne Jungfrau, die sieht
ihn so freundlich, so herzinnig an und spricht: Ich
sehe aus der Mühe, die Du dir meinetwegen gegeben
hast, daß Du mich gern haben willst, küsse mich, so
bin ich erlöst, und Du wirst glücklich. Dieser aber
ist blöde und schüchtern, wagt die schöne vornehme
Dame, die in grünem seidenen Kleide vor ihm steht,
nicht anzurühren, noch viel weniger zu küssen und
zieht sich scheu und langsam zurück. Sie seufzt und
bittet und sieht ihn so flehentlich an; er ist aber so
dumm und erfüllt ihren Wunsch nicht. Da geht sie
weinend fort und verschwindet mit einem
Seufzer im Walde. Kaum ist sie verschwunden, so
fängt ihn sein Betragen an zu reuen, er wendet um,
sucht sie, sie ist aber nirgends zu finden. Aus Gram,
daß er das hübsche Mädchen nicht erlöst hat, wird
der Nachtschichter krank und in neun Tagen ist er
todt. In seiner Krankheit hat er die Geschichte erzählt.
Bei der Beerdigung folgten viele junge Mädchen
der Leiche, und als der Sarg hinabgelassen wird,
kommt ein wunderschöner Vogel aus der Luft herab
und fällt mit einem herzzerreißenden Pfiff in das
Grab hinein. Alle Folger haben’s gehört und gesehen.
Das ist wahrscheinlich das unglückliche Mädchen
gewesen und dadurch wird sie auch erlöst sein.
Ein köstliches Wort – Das Bild ist vom Werkzeug
des Landmanns hergenommen, von der Pflugschaar,
der Hacke oder der Schaufel. Wenn diese
Werkzeuge nämlich täglich fleißig gebraucht werden,
so bekommen sie einen schönen, spiegelhellen Silberglanz.
Aber wenn man sie wochen- und monatelang
unbenützt in einer Eck stehen läßt, wenn sie „rasten“
können, dann „rosten“ sie auch und werden matt,
glanzlos und voller unschöner Flecken. Wie dem
Werkzeug, so geht’s auch dem, der’s gebraucht, dem
Handwerksmann. Er mag einst ein tüchtiger Arbeiter
gewesen sein, mit hellem Kopf und flinker Hand.
Aber der Sonntag genügte ihm nicht als Rast- und
Erholungstag, er nahm den „blauen Montag“ hinzu.
Bald ging’s auch am Dienstag nicht mehr leicht,
und zuletzt brauchte er jeden Tag seine Rastzeit, wo
er „einölen“ mußte. So rastete er oft und gern und
immer länger. Aber ach, wie rasch ist er auch gerostet!
Mit dem hellen Kopf ist’s vorbei, seit vom
Sonntag bis zum Sonnabend ein wüster Nebel drin
und drum herumliegt; mit der flinken Hand ist’s
auch aus, sie zittert und ist unsicher. Auch der Rücken
schmerzt, wenn er sich beugen soll. So ist er verrostet,
und der heruntergekommene Mensch gleicht
dem früheren geschickten Arbeiter so wenig, als das
rostbedeckte Eisen der glänzenden Pflugschaar.
Als im Jahre 1783 „Agnes Bernauerin, ein
Trauerspiel“ in Salzburg aufgeführt wurde, faßte
das Publikum einen solchen Haß gegen eine darin
vorkommende Gestalt, den „Vicedom“, daß der Schauspieler,
welcher diese Rolle spielte, seines Lebens nicht
sicher war, und wirklich angefallen wurde. Der Director
wußte dieses auszunutzen und ließ, als das Stück
nicht mehr recht ziehen wollte, mit großen Buchstaben
auf den Anschlagzettel drucken: „Heute wird der
Vicedom über die Brücke gestürzt!“ Infolgedessen
war das Haus überfüllt, und der Vicedom flog unter
allgemeinen Beifallsäußerungen über die Brücke.
Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1903. Pieper’sche Buchdruckerei, Clausthal 1903, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Harz-Berg-Kalender_1903_030.png&oldid=- (Version vom 31.8.2019)
- ↑ Original: „Harzmärchen“ von Fr. Ey