Sie wußte, daß Herr F. ein ungebildeter Prolet ist. Wenn etwas an Charlotte wäre, so würde sie versuchen, diesen ungebildeten u. offenbar cholerischen, aber auch feigen Mann vom Standpunkte menschlicher –, oder besser christlicher Nächstenliebe her zu behandeln. Sie würde seine zahlreichen Proletereien u. Geschmacklosigkeiten allmählich zu überwinden versuchen u. ihm ein höheres, ethisches Bewußtsein zu vermitteln suchen. Anstatt dessen ist sie empört über seine Unbildung u. Geschmacklosigkeit u. reizt ihn bis zur Weißglut mit Widerspruch, Besserwissen u. Ueberheblichkeit, wozu sie ja garkeine Berechtigung hat. Eine solche Lebensauffassung ist niveaulos u. gewinnt ihr keine Sympatien, es sei denn bei gleichfalls ganz oberflächlichen Materialisten. Es ist mir eine große Freude, daß Elisab. das alles mit großer Deutlichkeit sieht. –
Heute bekam ich von Franz aus München eine Büchse Nesskaffee, eine teure Zigarre in einer Glasröhre u. für Bettinchen Schokolade u. Bonbons. Sehr nett von dem Jungen.
Auch die Verkaufsgenossenschaft Bildender Künstler hat heute geantwortet. Sie teilt mir mit, daß meiner Aufnahme in die Genossenschaft nichts im Wege stehe, wenn die Mitgliederversammlung dem zustimme u. ich einen Beitrittsbetrag von 5,– M. u. einen Genossenschaftsanteil von 50,– M. zahlte. Man bittet mich um meinen Besuch u. um Vorlage von Aquarellen. Ich werde mir also Passepartouts machen u. dann mit einigen Aquarellen hingehen.
Heute hat's endlich mal nicht geregnet, aber es war wolkig u. mittags drohte ein Gewitter, aus dem aber nichts wurde. Ich benutzte die Gelegenheit u. fuhr zu Picknes nach der Kochstraße, wo ich zehn Kartons für Passepartouts kaufte, das Stück zu 40 Pfennige, dazu kaufte ich noch einen feineren Marderpinsel, den ich sehr brauche u. der 5,– M. kostete. Von dort fuhr ich zum Oranienburger Tor in die Dt. Bücherstube u. sah mir die Aquarelle von einem Kollegen Wagner an, die dort noch bis zum 15. Juli ausgestellt sind. Ich dachte, etwas lernen zu können, aber damit war's nichts. Die Aquarelle waren sehr sorgfältig u. akkurat gemalt, auch sind sie in der Farbe nicht schlecht, wirken aber doch trocken u. ziemlich pedantisch, obgleich sie ganz flott gemacht sind. Ich fand sie jedenfalls reichlich langweilig. Wagner setzt sehr sorgfältig die Farben trocken übereinander, ohne die Ränder zu verwaschen, waschen tut er überhaupt nicht. Bei mir fängt das Aquarellieren erst mit dem Waschen an. Meine Zeichnung kann dabei natürlich nicht so akkurat bleiben, aber dafür haben
Hans Brass: TBHB 1954-07-13. , 1954, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1954-07-13_001.jpg&oldid=- (Version vom 21.9.2024)