Ein schöner Sonntag! Der erste schöne Frühlingstag, der nun endlich das Eis auf dem Meere zerteilt hat, sodaß man größere Flächen Wasser sieht. Mittags aß Dr. Longard mit uns, er brachte eine Flasche Weißwein mit, die wir aber aufhoben zu Martha's Geburtstag. Nach dem Essen zeigte ich ihm Bilder, die er ganz verständig aufnahm.
Um 5 Uhr kam Dr. Rudlof, den ich zuerst zum Grabe von Frau Longard führte. Um 6 Uhr war dann Hochamt im Seezeichen, sehr gut besucht. Dr. R. ist ein schlechter Prediger, ungeschickt in seinen Gesten u. banal in dem, was er sagt, aber er meint es sehr ehrlich u. vielleicht wird er von den einfachen Leuten auch gut verstanden. Ich ministrierte wie stets u. war voll Andacht, die sich besonders bei der Kommunion steigerte. Dr. R. wollte sofort wieder nach Ribnitz fahren, doch nötigten wir ihn, rasch mit uns zu Abend zu essen.
In der Nacht befiel mich ein heftiger Durchfall, der auch am Tage noch andauerte, doch hoffe ich, durch reichlichen Genuß von Kohle morgen wieder in Stand zu sein. Tags über fühlte ich mich infolge dessen nicht sehr wohl, aber jetzt am Abend habe ich mir einen kräftigen Grog gebraut von echt französ. Arrak, von dem wir noch eine halbe Flasche haben dazu eine englische Zigarette aus dem Care-Paket. So läßt sich der Abend gut ertragen.
Wir aßen heute abends zum ersten Male wieder im Seezimmer, wo es ganz schön warm war, aber der Anblick des Meeres, auf dem immer noch sehr viel Eis schwimmt, ist trostlos.
Seit 2 Tagen blühen die Krokusse im Garten.
Bei warmem Südwind ist heute das Meer –, wenn auch noch nicht ganz eisfrei –, so doch wenigstens am Ufer eisfrei geworden.
Von Schw. Gertrud Dobczynski ein Brief u. Dank für das Geld, das ich ihr für die Bücher geschickt hatte.
Walter Papenhagen arbeitet seit einigen Tagen in der BuStu., wo wir einen großen Ausstellungsraum für Bilder herrichten lassen.
Gestern Nachmittag war Triebsch wieder bei mir. Ich erteilte ihm zuerst Firm=Unterricht, worum P. Beckmann mich gebeten hatte, was eine Stunde in Anspruch nahm u. hielt ihm dann noch eine Stunde lang Vortrag über die Mutter Jesu. – Abends waren Paul u. Grete bei uns, langweilig wie immer. Diese Menschen, die ihr Leben lang nur an ihren Bauch gedacht haben, sind nun jetzt wirklich völlig beschäftigungslos, denn sie haben nichts mehr zu essen. Es geht ihnen wirklich schlecht. Martha gibt ihnen, so viel sie kann, aber es ist ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich hatte deshalb an Else geschrieben u. ich hörte gestern von ihnen, daß Else Paul eingeladen hat, nach Völpke zu kommen.
Heute ist das Wetter wieder kalt, regnerisch u. ziemlich stürmisch geworden mit dem Erfolg, daß seit heute nachmittag endlich das Eis vom Meere verschwunden ist.
Hans Brass: TBHB 1947-04-20. , 1947, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1947-04-20_001.jpg&oldid=- (Version vom 16.1.2025)