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Seite:HansBrassTagebuch 1947-03-23 001.jpg

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Passionssonntag 23. März 1947.     

     Als wir gerade das Mittag essen beendet hatten, kam Herr Fenchel mit der Nachricht, daß Frau Longard gestürzt sei, wahrscheinlich ein Schlaganfall. Martha u. ich machten uns sofort auf den Weg, der stellenweise unpassierbar war, da die Straße in Seen von Schmelzwasser unterging. Es waren 15° Wärme. Als wir ankamen, fanden wir die alte Dame im Stuhle sitzend, offenbar linksseitiger Schlaganfall. Sie war hingestürzt, hatte sich dabei aber zum Glück nicht weiter verletzt außer einer leichten Quetschung an der linken Seite der Unterlippe. Die beiden Frl. Horn, Katholikinnen, die bei ihr im Hause wohnen, waren um sie besorgt, vor allem aber ihr altes Mädchen Erna Fenchel u. ihr Mann waren voll rührender Sorge. Frau L. war bei Bewußtsein, sie erkannte uns und sprach ziemlich verständlich. Wir schickten Erna gleich zu Dr. Zabel, der ja nicht weit wohnt. Frau L. war in verhältnismäßig guter Verfassung, soweit es den Geist angeht. Sie fragte, ob ich das Hörspiel im Nordwestdeutschen Rundfunk gehört hätte, welches die Moskauer Konferenz zum Gegenstande hat. Sie wußte, daß der alte Kaiser Wilhelm heute 150 Jahre alt würde u. erzählte dergleichen Dinge, die zeigten, daß sie geistig absolut frisch war. Ueber ihren Zustand war sie sich jedoch wohl nicht klar. Wir wollten sie ins Bett bringen, was sie aber entschieden ablehnte, sie wollte unbedingt im Stuhl sitzen bleiben. Erst nach längerer Zeit war sie einverstanden, daß wir sie wenigstens auf ihrem Liegestuhl betten konnten. Als Dr. Zabel kam, erkannte sie ihn zunächst nicht, was aber mehr auf ihre sehr schlechten Augen zurückzuführen war, da sie so lag, daß Dr. Z. an ihrer linken Seite saß. Dr. Z. war ausgezeichnet. Er stellte sachliche Fragen, klar u. einfach u. ohne Erregung u. ermunterte sie allmählich, den linken Arm u. das linke Bein zu bewegen, was auch ganz befriedigend gelang. Sie hatte sich bereits schon wieder etwas erholt. Dr. Z. stellte die einfache Diagnose auf linksseitigen Schlaganfall, der aber zunächst keine große Gefahr bedeute, es sei, falls nicht neue Komplikationen eintreten, mit einer allmählichen Besserung zu rechnen. Ruhe u. leicht verdauliche, flüssige Kost. Wir gingen dann zu Triebsch, um ihm die Sachlage mitzuteilen, da er gewöhnt ist, täglich zu ihr zu gehen u. sich von ihr im Katholizismus unterweisen zu lassen. Triebsch war Vormittags bei uns gewesen, um sich die letzten Petrusblätter zu holen. Seine Frau ist z. Zt. ebenfalls krank, Unterernährung, Mangel an Vitamin C, wodurch eine Schwellung des Gesichtes u. Entzündungen am Zahnfleisch verursacht werden. Es geht ihr aber bereits besser. Unterwegs trafen wir Margot Seeberg, die wir abhalten konnten, zu Frau L. zu gehen, wozu sie auf dem Wege war. So verbrachten wir den ganzen Nachmittag in dieser Weise außer dem Hause. Wollte Gott, daß die alte Dame sich noch einmal erholt, denn P. Beckmann will ja in dieser Woche für 3 Tage hierher kommen, um Triebsch noch letzte Unterweisungen zu geben, am Ostersonntag soll dann die bedingte Taufe stattfinden. Auf jeden Fall werden wir morgen mit P. Beckmann telephonieren. Er wird nun natürlich nicht bei Frau L. wohnen können u. wir werden ihn bei uns aufnehmen, worüber ich mich sehr freuen würde. – Abends beteten wir den Rosenkranz.

     Vormittags schrieb ich einen reiflich überlegten Brief an Herrn Kreuzberg, der mir auf meine Anfrage nach dem Verbleib meiner Zeichnungen recht unbefriedigend geantwortet hatte. Von Else ein guter Brief. –

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1947-03-23. , 1947, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1947-03-23_001.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2025)