Dazu kommt täglich die brennende Not an die Tür, wo der Rat eines Seelsorgers gebraucht wird. Wie wartete er selbst auf priesterlichen Beistand u. Verständnis, hatte die ganzen Jahre hier in dieser einsamen Diaspora schon immer so sehr diesen Mangel schwer empfunden. Wenn ich morgens bei Tisch sage: „Die Nacht war furchtbar“, dann ist die einzige Antwort u. Teilnahme daran: „Ja, ja, so ist's. Wissen's, bei Herzkranken ist's halt immer so, einen Tag besser, einen Tag schlechter.“
A. wartet, ob Schw. Maria einen der bekannten Mitbrüder mitbringt oder wenigstens Bescheid. Er ist ganz hoffnungsfroh.
Marianne kommt sagen, daß Schw. Maria durch die Zugverspätungen erst in 2 Tagen wird zurück kommen können. Ich tröste A. Er: „Es wird ihr nichts passieren, sie wird zurückkommen, die Muttergottes von Barth verläßt sie nicht“.
Er dämmerte vor sich hin, rief mich plötzlich strahlend zu sich nahe heran: „Geh mal ans Telephon“, flüsterte er geheimnisvoll. „Das geht doch nicht.“ – „Doch!“ – „Die haben doch die Leitung draußen abgenommen für sich.“ – „Du gehst ans Telephon! – Aber erschreck nicht, wer dran ist, hörst Du. Du mußt nicht erschrecken! Du meldest Dich u. wartest Befehl ab.“
Ich wollte ihn nicht reizen, wurde selbst unsicher u. tat ihm den Gefallen, so oft er immer wieder von neuem drängte u. immer dringlicher u. beschwörender fragte: „Nun, noch nichts?“ – „Wie spät?“ – Ist's schon 6 Uhr?“ – Ich merkte, wie ihn die Enttäuschung immer mehr u. mehr ergriff u. er mich immer wieder grübelnd betrachtete. „Wenn ein großes Auto kommt, erschrick nicht. Es wird jemand in Zivil von R. gebracht. Die mußt Du reinlassen, hörst Du? –“
Bei jedem Klingeln fuhr er selig lächelnd hoch, wartete u. schickte mich: „Sie kommen, sind schon unterwegs.“ erklärte er mit Bestimmtheit. „Wie spät?“ Ich wurde ganz irre. War es nur Fantasie, konnte es etwas anderes sein? Die Nacht verlief ebenso mit Warten trotz der Anfälle. „Wie spät?“ – „Schließt die Kirche auf. Es stehen doch schon 2 Priester vor der Tür. - „Es ist noch Nacht, die Russenwache steht nebenan, ich darf jetzt kein Geräusch machen, nichts an der Kirche schließen.“
5 Uhr: „Schließ die Kirche auf!“ Ich mußte es mit aller Vorsicht tun. Er wartete gespannt: „nun?“ – „Sie werden noch kommen,“ u. er sagte mir lächelnd u. geheimnisvoll, wen er bestimmt erwartete .... u. in welchem Zusammenhang .... u. einer von ihnen möchte mir gleich den Heiland bringen.“
.... u. es war doch alles Fantasie! Aber welche Sehnsucht, – wie mußte die Enttäuschung werden! Denn der, den er so bestimmt erwartete konnte nicht kommen, der war weit u. ungewiß. Die Augen verfolgten mich den ganzen Tag, wurden müder u. müder u. enttäuschter.
31.5.45, Fronleichnam. Pater D. hatte ihm morgens die hl. Kommunion gebracht. Einen Augenblick wurde der arme Körper ruhiger, dann von neuem Unruhe. Es wurde stündlich schlimmer. Die Beine zuckten ruhelos hin u. her, hin u. her. Er behielt nicht mehr als ein dünnes Leinenlaken über sich. Ab u. zu ist er
Hans Brass: TBHB 1946-12-28. , 1946, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-12-25_006.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2024)