Heute Vormittag war ein bemerkenswerter Mann bei mir. Er war von Prerow mit dem Rade herübergekommen u. stellte sich vor als Max Ursin aus Dessau. Ein kräftiger, gesunder Mann mit starkem, schwarzem Haarwuchs, ein Naturbursche. Er ist Maschinenbauer, hat dann in Leipzig auf der graph. Schule gelernt u. hat jetzt seine Meisterprüfung als Tischler u. Drechsler gemacht. Er unterhält in Dessau eine Werkstatt u. hat einen Verkaufsladen für Kunstgewerbe. Der Mann ist also sehr vielseitig. Darüber hinaus hat er ein starkes Gespür für Symbolwerte u. ein großes Redetalent, mit dem er mich einfach kaputt geredet hat; aber was er sagte, war durchaus kein Geschwätz, sondern sehr inhaltreich u. sicher. Bei dem Bildnis Dr. Tetzlaff wurde er ganz aufgeregt, weil dieser sein Gegentyp ist, er nannte das Bild: „der kranke Europäer“. Den stärksten Eindruck empfing er von den „Weidenkätzchen“, dem „Blauen Engel“, u. dem „Christkönig“, obwohl er offensichtlich völlig unchristlich war, – aber nicht unreligiös. In dieser Beziehung ist er mir nicht ganz klar geworden, vielleicht ist er Anthroposoph oder sowas Aehnliches. Er regte an, die Bilder nach Berlin weiter zu senden nach Dessau, – er will mir darüber schreiben. – Alles in Allem muß ich doch sagen, daß dieser Mann mir nicht besonders sympathisch war. –
Nachmittags brachte Herr Meyer die Rahmen für die letzten Bilder, die ich gleich farbig tönte. Während dieser Arbeit kam Koch-Gotha u. brachte vier Zeichnungen für die Ausstellung. Er will morgen Vormittag wiederkommen, um Bilder anzusehen. Er hat sich seinen Bart wieder abgenommen u. hat nur eine weiße Krause stehen lassen. Er sieht so besser aus als mit Bart. Er brachte eine Zeichnung einer Althäger Winterlandschaft mit einem Schneemann, ferner eine weite Sicht auf Wustrow, eine Radierung vom alten Knecht u. eine Rötelzeichnung von Gerhard Marks.
Der Ausstellungssaal im Kunstkaten ist jetzt so weit fertig, nur die Türen müssen noch gemacht werden u. vor allem muß sauber gemacht werden. Diese Verputzung der Wände mit Lehm hat den Fußboden in einen Morast verwandelt. Die Glasscheiben des Oberlichtes sind noch nicht erneuert u. auch das Dach ist noch nicht ausgebessert. Es hat heute Nachmittag geregnet u. innen ist das Regenwasser durch die Decke über die frisch gestrichenen Wände gelaufen.
Vormittags waren wieder mehrere Leute nacheinander da, um Bilder anzusehen, darunter auch Peter Jaeger mit Tochter u. noch zwei anderen Damen, natürlich wie immer in aller Eile auf der Durchfahrt. – Am Nachmittag fotographierte Fritz die drei Bilder „Dirne“ „Gespenst“ u. „Dr. Tetzlaff“. – Der Bildhauer Loeber brachte für die Ausstellung Bilder seiner Frau, von denen ich drei Stück auswählte, ein bezauberndes, kleines Oelbild u. zwei Aquarelle (Selbstportait u. Kinderbild) Ich wußte garnicht, daß diese Frau eine so begabte Malerin sei. Ihre Sachen sind aber genau so liederlich u. schusselig gemacht u. hergerichtet, wie sie
Hans Brass: TBHB 1946-08-14. , 1946, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-08-14_001.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2024)