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Seite:HansBrassTagebuch 1946-07-27 001.jpg

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Nachdem der Tagesspiegel nicht mehr zu uns gelangt, bin ich allein auf die „Landes-Zeitung“ angewiesen, die nun eine heftige Propaganda für die Wahlen im Herbst entfaltet. Die SED. verbucht sich jetzt nun einfach alle Erfolge, die die Landesverwaltung im letzten Jahre erzielt hat. Diese Erfolge sind tatsächlich beachtlich. Im August 1945 wurden in ganz Mecklenburg=Vorpommern 77754 Arbeitspferde gezählt, am 1. Juni waren es 109192 Arbeitspferde. Zu denselben Terminen gab es 183100 Milchkühe gegen jetzt 240784 u. 247354 Schweine gegen jetzt 255897 Schweine. Angesichts dieser Steigerungen u. einer erheblichen Steigerung der Anbauflächen um 28% glaubt Vicepräsident Möller sagen zu dürfen, daß wir über den Berg sind, daß die Ernährung ansteigen wird u. daß wir mit einem allgemeinen Anstieg der wirtschaftlichen Lage rechnen dürfen. – Auch in der Industrie – anscheinend aber mit Ausnahme der so wichtigen Lebensmittelindustrie –, wird eine Steigerung um 20% behauptet. Interessant ist, daß in Rostock eine Werkuhren=Fabrik geplant ist u. in Laage eine Milchzucker-Produktion. Fast noch interessanter ist, daß in Schwerin eine Zigarettenfabrik im Bau ist, die bereits in 2 Monaten täglich 1,2 – 1,4 Millionen Zigaretten produzieren soll. Diese Fabrik soll „Unitas“ heißen. – Solche Nachrichten sind natürlich sehr erfreulich. Diese „Unitas-Zigaretten“ werden zwar ein greuliches Kraut sein, aber eine schlechte Zigarette ist besser, als garkeine. Das Nichtrauchen ist wirklich eine harte Nuß. – Nun kann ja niemand sagen, daß diese Fortschritte allein auf das Konto der SED. zu setzen sein müssen, dennoch ist kein Zweifel, daß solch eine Einheitspartei eine starke Stoßkraft besitzt, genau so, wie die NSDAP eine solche Stoßkraft besaß u. damit viel erreichte. Gegenwärtig sind Pieck u. Grotewohl im Westen u. halten dort starke Propagandareden in Köln, Essen usw. Die Russen würden das im umgekehrten Fall einfach nicht erlauben, der demokratische Westen muß es erlauben. Ich bin überzeugt, daß diese Propaganda sehr großen Erfolg haben wird. Und man weiß nicht, was man denken u. sagen soll. Hat sie nämlich keinen Erfolg, dann ist der Auseinanderbruch Deutschlands an der Elbe unvermeidlich, hat sie Erfolg, dann ist das ein Sieg der Russen u. eine Niederlage der Westmächte. Die Westmächte haben dann tatsächlich den ganzen Krieg verloren. Sie sind in den Krieg gezogen, um das totalitäre Deutschland zu vernichten u. stehen nun vor einem neuen totalitären Deutschland, das nun aber im Bunde mit Rußland u. a. totalitären Staaten ist. Immer stärker wird in mir der Zweifel, ob die westlichen Demokratien überhaupt noch eine Zukunft haben u. ob es nicht besser ist, sich bedingungslos dem neuen Rußland anzuschließen, so sehr auch alles Gefühl dagegen spricht. –

Sonnabend, 27. Juli 1946.     

     Gestern Abend kam Martha zurück, es war schon gegen 9 Uhr. Sie wußte sehr viel zu erzählen, hat in Berlin eine Unmenge von Leuten gesprochen u. es scheint sich allerhand Günstiges für das Geschäft angebahnt zu haben. Leider war der Kunsthändler Rosen verreist, sodaß sie ihn nicht sprechen konnte aber andere Leute werden das tun, bzw. ich werde selbst an ihn schreiben.

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1946-07-25. , 1946, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-07-27_001.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2024)