Gestern am Spätnachmittag kam, von Martha hergebeten, Dr. Meyer, um sich nach mir zu erkundigen, da mein Zustand in diesen letzten Tagen wieder viel schlechter geworden ist. Er meinte, daß ich keine neue Euvernil=Kur zunächst machen solle. Die Urinprobe, die ich ihm gesandt hatte, war von ihm noch nicht untersucht worden, es waren allerhand Verzögerungen damit gewesen. Er empfahl mir ein Medikament, das wir vielleicht durch Ruth bekommen können, zur Steigerung des Blutdruckes.
Der Kaplan, der Eussner heißt, war mit dem Rade zum Darss gewesen bis in die Nähe des Leuchtturms u. verspätete sich abends, da er den Weg verfehlt hatte. Wir saßen nach dem Abendbrot noch bei mir im Zimmer u. sprachen über Kunst. Er gestand, daß er weder zu meinem Bilde „Himmelskönigin“, noch zum „Christkönig“, ein Verhältnis habe. Er ist wohl ein guter Geistlicher, aber von bescheidenen Anlagen.
Heute fürchterliches Wetter: Nordwind, Regen u. sehr kalt. Wir hatten heute früh eine Gemeinschaftsmesse, trotz des Wetters waren Leute gekommen. Ich weiß nicht, wie der Kaplan heute nach Müritz kommen will, zwar würde ihn der Wind treiben, aber die Wege sind grundlos, denn es hat die ganze Nacht geregnet u. es sieht nicht so aus, als würde es so bald wieder aufhören.
Dr. Meyer, der bei dem Ueberfall in Dierhagen die erste Hilfe geleistet hat, erzählte den Hergang. Drei bewaffnete Russen seien nach Dierhagen gekommen. Sie haben zuerst den Bürgermeister, der schon im Bett lag, aufgesucht, haben sofort das Telephon abgerissen u. dem Bürgermeister mit einer Maschinenpistole über den Kopf geschlagen, daß ihm sofort das Blut in die Augen lief. Es ist dann Lärm geschlagen worden u. drei Einwohner kamen zur Hilfe, von denen zwei durch Bajonettstiche u. Schüsse schwer verletzt wurden. Die Russen sind dann getürmt, nachdem sie noch geplündert haben, – auch noch in anderen Häusern. Auf dem Rückmarsch begegneten sie einem Bauern, der mit seinem Gespann von der Verlobungsfeier seines Sohnes kam. Was geschehen ist, weiß man nicht, man fand morgens die Leiche mit drei Wunden u. einem von Stiefelabsätzen zertretenen Gesicht, vom Gespann war nichts zu sehen. Es heißt, daß die Russen aus Warnemünde gewesen seien.
Kaplan Eussner ist gestern gegen 6 Uhr mit dem Rade wieder nach Müritz zurückgefahren, obgleich das Wetter schlimm war. Der starke Nordwind hatte sich im Laufe des Tages zum Sturm gesteigert, begleitet von unaufhörlichem Regen. Es hat im Hause an mehreren Stellen so durchgeregnet, daß wir Eimer aufstellen mußten. Der Strom versagte. – Vor seiner Abfahrt besah er nochmals meine Bilder. Zu den Bildern „Himmelskönigin“ u. „Christkönig“ konnte er immer noch kein Verhältnis gewinnen, dagegen wollte er den „Pfarrer von Ars“ gern kaufen. Als ich ihm aber den Preis von 900,– Rm. nannte, bekam er doch einen Schrecken.
Auch heute noch ist Nordwind u. Regen. Es ist sehr kalt, ich sitze mit einer Decke bei mir im Zimmer, will aber doch versuchen, an meinem Bilde weiter zu arbeiten.
Dr. Burgartz sagte mir neulich, daß er damit rechne, daß ich im Sommer, wenn die wirklich prominenten
Hans Brass: TBHB 1946-06-14. , 1946, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-06-14_001.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2024)