Nachmittags war der junge Stechow aus Althagen da mit einem Herrn Meier, der wohl Flüchtling ist u. Werkmeister irgend einer Fabrik, ein sehr intelligenter, sympatischer Mensch. Beide zusammen haben sechs Schaukelpferde gemacht, von denen aber erst drei fertig sind. Wir haben sie sofort gekauft u. die noch zu machenden drei Stück ebenfalls. Die Stücke sind ganz ausgezeichnet, sehr solide u. stabil gearbeitet, nur daß der fertige Anstrich mangelhaft ist, weil sie keinen Firnis haben. Wir werden nun noch Sattelzeug u. Zaumzeug dazu machen u. haben damit wirklich ganz große Zugstücke im Laden. Man wird heutzutage dergleichen kaum in den Großstädten finden. Diese Pferde u. unsere wirklich bemerkenswert guten Puppen, die wir von den Damen machen lassen, die wir beschäftigen, sind wirklich sehenswert. Wir beschäftigen vier Damen zur Herstellung von allerhand Dingen wie Gürtel, Haarnetze, Einkaufsnetze usw. u. können uns mit dieser Produktion sehen lassen. Dazu haben wir noch eine ältere Dame als Verkäuferin, Frau Handschuch, sie war einmal die Frau eines Geschäftsinhabers für Eisenwaren u. Haushaltungsartikel in irgend einer Stadt im Osten u. hat alles verloren, sie ist sehr gewissenhaft u. reell. Auch die anderen Damen sind alle Flüchtlinge bis auf die Tochter des Briefträgers Fiek, der verschollen ist, ebenso wie ihr Mann.
Vorläufig geht das noch alles, aber die Zeit wird kommen, wo kein Mensch mehr Geld hat. Deutschland geht immer mehr dem völligen Ruin entgegen. Trotzdem arbeiten wir weiter, als ob nichts geschehen wäre. So habe ich den beiden Herren Stechow u. Meier heute die Maße meiner sämtlichen Bilder gegeben u. lasse Rahmen machen. Dabei las ich heute in der russisch redigierten Täglichen Rundschau, dem zur Zeit maßgebenden Organ in der russischen Zone, eine Kritik über drei berliner Kunstausstellungen, die den Gipfel der Unverschämtheit darstellt. Dieser Kritiker bemängelt vor allem, daß die deutschen Künstler sich nicht mit dem aktuellen Zeitproblemen befassen. Was sollen sie da wohl malen: Plündernde Kosaken u. betrunkene Offiziere? Im übrigen reißt dieser Kerl die Arbeiten der Künstler runter, daß es nur so eine Art ist. Es ist wirklich eine unerhörte Unverschämtheit, die mir aber beweist, daß es garkeinen Sinn hat, an die große Oeffentlichkeit zu gehen.
Seit manchem Jahr konnte in diesem Jahre der Himmelfahrtstag wieder als richtiger Festtag begangen werden. Die Geschäfte waren geschlossen u. die Arbeit ruhte.
Nach dem Essen besichtigte ich die BuStu, wo Fritz Wände gespannt hatte, um meine Zeichnungen aufhängen zu können. Er hat das sehr sorgfältig mit Rupfen gemacht u. es sieht sehr gut aus. Morgen will ich daran gehen u. die Zeichnungen aufhängen, ich kann gut u. bequem 12 – 15 Zeichnungen hängen.
Von Ruth ein sehr netter Brief.
Heute Nachmittag habe ich meine Zeichnungen in der BuStu. aufgehängt. Es sind insgesamt 16 Zeichnungen, die der BuStu. nun erst ein richtiges Gesicht geben, obgleich sie für sich isoliert hängen. Der ganze Laden bekommt dadurch das Ansehen einer Kunstausstellung, während der Verkauf der anderen Sachen mehr Nebensache bleibt. Aber auch sonst macht der Laden jetzt wirklich einen bemerkenswert guten Eindruck.
Morgen sollen 90 Gäste vom Kulturbunde eintreffen.
Vormittags am Kirschblüten-Bilde gemalt.
Hans Brass: TBHB 1946-05-29. , 1946, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-05-30_001.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2024)