Die beiden heutigen Vormittags-Vorträge behandelten die Situation, in der wir uns heute befinden, d.h. der Betrachtung des vollkommenen Trümmerhaufens. P. Drost stellte an sehr guten Beispielen aus dem praktischen Leben dar, wie es zu diesem Trümmerhaufen kommen mußte u. zeigte den einzigen Weg, der aus diesen Trümmern herausführen kann, jedoch konnte er keine Hoffnungen machen, daß dieser Weg vom Volke erkannt u. beschritten werden wird. Er deutete nur an, daß nur Einzelne diesen Weg erkennen u. beschreiten werden. Wahrscheinlich wird er in den Nachmittagsvorträgen hierauf näher eingehen.
P. Drost gab mir gestern Abend noch einen Hirtenbrief der Westdeutschen Bischöfe vom 27. März. ds. Js., in dem mit sehr entschiedener Sprache auf die allgemeine, große Rechtsunsicherheit hingewiesen wird, in der sich das ganze deutsche Volk befindet, eine Rechtsunsicherheit, die keineswegs geringer ist als die unter dem Nationalsozialismus. Insbesondere wird in diesem Sinne von der Bodenreform in der russischen Zone gesprochen. Dabei fällt mir ein, daß ich vor einigen Tagen in einer Zeitung – ich glaube es war die Frankfurter – einen recht scharfen Artikel über das Versagen der deutschen Bischöfe in der Nazizeit las. Der Artikelschreiber hatte wohl Recht. Aber nur zum Teil. Er vergaß nämlich, worauf P. Drost heute hinwies, daß die kathol. Kirche schon mehrere Jahre vor der Machtergreifung durch Hitler den Katholiken verboten hatte, dieser Partei anzugehören u. daß jeder exkommuniziert werden sollte, der dieses Verbot nicht achtete. Damals haben die deutschen Bischöfe mit allem Ernst u. zuweilen auch mit Strenge in diesem Sinne gesprochen, geschrieben u. gehandelt u. haben dafür viel Kritik geerntet auch unter Katholiken, die sich daran nicht kehrten. Man hat also jetzt hinterher kein Recht, das Verhalten der Bischöfe während der Nazizeit zu kritisieren, nachdem die Katholiken trotz des Verbotes eben doch zum großen Teil Nazis geworden waren.
Heute vor einem Jahre, früh 7 Uhr, rückten die Russen bei uns ein; endlose Troßkolonnen, wüste u. verwegene Kerle, richtige asiatische Menschen. –
Und heute, ein Jahr später beenden wir diese drei heiligen Tage, in denen P. Drost versucht hat, uns Wege zu Gott zu weisen; aber es gibt nur einen Weg: den des Gebetes. Und davon handelten die beiden Vorträge nun des Vormittags. –
Gestern Nachmittag hatten wir wieder eine sehr schöne Kaffeestunde mit dem Pater, wobei ich ihn nach seinen persönlichen Verhältnissen befragte. Er ist der Sohn einer sehr frommen Kätnersfamilie aus Schlesien u. er erzählte von seinen frommen Eltern u. dem Leben in seiner Kindheit. Er sagte, daß er Theologie viel weniger im Seminar studiert habe, sondern als Kind im Elternhause. Es ergab sich, daß die Geschichten, die er während der Vorträge als Beispiele echter Frömmigkeit hier u. da einflocht, immer Erlebnisse aus seinem Elternhause waren. – Dieser Pater ist ein sehr verehrungswürdiger Mensch, der Christus in sich trägt u. von Christus geprägt ist.
Hans Brass: TBHB 1946-05-02. , 1946, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-05-02_001.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2024)