Heute Mittag kam ein Lastauto mit zwei Offizieren, einem Stabsfeldwebel u. 15 Mann bewaffneter Infanteristen aus Ribnitz. Die Leute gingen in zwei Abteilungen von Haus zu Haus, ließen sich die Ausweise vorzeigen u. gingen dann durch's ganze Haus, um überall die Nase reinzustecken. Unseren Radio-Apparat nahmen sie mit. Dann wollten sie die Schreibmaschine. Ich sagte, daß ich keine hätte. Sie suchten dann nach ihr, fanden sie aber nicht, obgleich sie in meinem Zimmer im Kasten ganz offen auf dem Fußboden stand. – Die andere Abteilung kam dann später ins kleine Haus, wo Meyers hausen. Der idiotische Sohn Wilhelm hatte natürlich seinen Ausweis nicht, er wird ihn irgendwo verkramt oder verloren haben. Ich wurde geholt u. sah zum ersten Male das Zimmer, in dem die Leute wohnen u. wo eine heillose Unordnung herrschte. Es gab viel hin u. her u. schließlich mußte sich Wilhelm anziehen u. wurde auf das Auto verladen. Ich weiß nicht, was die Russen mit ihm in Ribnitz anfangen wollen, aber so bald wird Wilhelm nicht wiederkommen, am Ende schicken sie ihn nach Rußland. Ich dachte, daß solche Sachen jetzt nicht mehr gemacht würden, aber man sieht, daß es immer noch dasselbe ist wie in den ersten Zeiten. – Jedenfalls sind wir nun unser Radio los u. da es auch keine Zeitungen gibt, höchstens solche, die man gelegentlich aus Berlin geschickt bekommt u. die dann mindestens vier Wochen alt sind, hat damit jede Verbindung mit der Außenwelt aufgehört. Die Borniertheit dieser russ. Methoden ist ungeheuerlich.
Vormittags war Koch-Gotha da. Das kleine Blumenstück war eben grade fertig bis auf einige letzte Pinselstriche. Koch-Gotha war überrascht u. sehr entzückt von diesem kleinen Bilde, das tatsächlich sehr schön geworden ist, vor allem sitzt es räumlich ausgezeichnet. – Ich zeigte ihm die anderen neuen Bilder: den „Apokalyptischen Einbruch“, die „Erlenlandschaft“ u. den „Propheten“. Besonders die Erlenlandschaft gefiel ihm wegen der Luft, die in diesem Bilde ist, aber auch der Prophet fand seinen Beifall, worüber ich überrascht war. Ich glaubte, daß er dieses Bild ablehnen würde. Ich zeigte ihm dann auch die Bleistiftskizze für den Christkönig. Das Bild machte auf ihn einen sehr starken Eindruck, er meinte, daß dies ein sehr großes Bild werden könnte. Ich hatte große Freude über die Anerkennung dieses Naturalisten, der ja über eine große Urteilsfähigkeit verfügt. Er erzählte mir übrigens, daß er vor 20 Jahren einmal eines meiner völlig abstrakten Bilder gesehen habe, welches einen so starken Eindruck bei ihm hinterlassen hätte, daß er dieses Bild heute noch deutlich vor sich sähe, obwohl er es, wie er zugab, nicht verstanden hätte.
Nachmittags war ich bei Franz Triebsch. Seine Frau hatte mich durch Martha bitten lassen, ihn zu besuchen. Wir sprachen von allem Möglichen, zuletzt aber von Religion. Ich erzählte ihm, wie ich durch meine Firmung auf wunderbare Weise zum Glauben gekommen wäre. Er war davon sehr ergriffen u. sagte, daß er die Sehnsucht hätte, auch dahin zu kommen. Ich sagte ihm, daß ich ihm diesen Glauben nicht geben könnte, daß ich
Hans Brass: TBHB 1946-01-24. , 1946, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-01-24_001.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2024)