darf künftig Angestellte oder Arbeiter einstellen oder entlassen ohne Erlaubnis des Arbeitsamtes, wer dagegen verstößt, hat mit hohen Geldstrafen oder Gefängnis zu rechnen. Ich entgehe ja Gott sei Dank diesen Bestimmungen mit meinen 61 Jahren grade eben, aber man kann solche Verfügungen nur mit einem fröhlichen „Heil Hitler!“ beantworten. Diese Leute tun, was sie nur können, um den Nazigeist in Deutschland nicht sterben zu lassen; aber es scheint so, als ob sie garnicht anders können, die Verhältnisse sind stärker als sie.
Ferner wurde durchgegeben, daß der Obergruppenführer Lorenz als Chef des Konzentrationslagers Oranienburg verhaftet worden sei. Es werden ihm nicht weniger als 20.000 Todesfälle zur Last gelegt. Endlich wird es also auch diesem Halunken an den Kragen gehen. Ich wußte übrigens garnicht, daß man diesem Kerl ein solches Amt angehängt hatte. Zu aller anderen Tätigkeit war er wahrscheinlich selbst den Nazis zu unfähig. Himmler, sein Freund, hatte ihn ja zum General der Polizei gemacht u. in dieser Eigenschaft ist er dann wahrscheinlich auch Chef von Oranienburg gewesen. Aber auch Herr v. Alvensleben war General der Polizei u. drückte sich in dieser Stellung vor der Front. Von ihm hat man noch nichts gehört. Seine sympatische Frau ist zu bedauern.
Ich habe gestern nicht richtig gehört: es haben sich alle Männer vom 14. bis 65. Lebensjahre auf den Arbeitsämtern zu melden, Frauen vom 15. bis 50 Lebensjahre. Ich gehöre also auch dazu. Es heißt allerdings: „alle arbeitsfähigen Männer“. Wegen meiner körperlichen Behinderung mag ich also vielleicht davon frei sein.
Heute würde uns mitgeteilt, daß uns unser Fernsprecher wieder abgenommen wird, weil auf Befehl der Sowjetrussischen Militäradministration auf 400 Einwohner nur ein Anschluß entfallen darf.
Von Fritz ein Brief Nr. 8. Brief Nr. 7. fehlt. Er schreibt etwas von einem „Sylvester-Zwischenfall“, von dem er wahrscheinlich in Brief 7 berichtet hat. Somit scheint er jetzt sehr eifrig dabei zu sein, seine Kenntnisse auf religiösem Gebiet zu verstärken, wozu er im Lager die allerbeste Gelegenheit hat. Es ist das überaus erfreulich.
Deutschmann war bei mir u. bat mich um Bestätigung, daß er mir persönlich, wie auch der BuStu. wiederholt gegen die Nazis geholfen hat. Ich werde ihm diese Bestätigung sehr gern geben.
Abends wird bekannt, daß in Frankreich doch kein Kommunist gewählt worden ist, sondern ein Sozialist.
Am Nachmittag besuchte ich den seit langem schwer erkrankten Herrn Gläser, der nun aus dem Krankenhause wieder nachhause gekommen ist. Er ist 71 Jahre alt u. sieht sehr elend aus. Man weiß wohl nicht recht, was ihm eigentlich fehlt, wahrscheinlich allgemeine Unterernährung in Verbindung mit einer Grippe, die sein Gehirn ernsthaft bedroht hat. Diese Gefahr scheint aber vorüber zu sein, doch fürchtet er sehr einen Rückfall. Er macht sich Gedanken über seine u. seiner Frau völlige Hilflosigkeit im Falle eines solchen Rückfalles, der dann mit Irresein verbunden sein könnte u. der eintreten könnte grade in der Zeit zwischen 5 u. 9 Uhr, wenn kein Licht u. Strom ist. Auch macht er sich Gedanken über den Zustand seiner Frau, welche die Belastung mit Unglück u. zu großer Arbeit nicht mehr ertragen kann u. ebenfalls in Gefahr ist den Verstand zu verlieren. Dieser Zustand ist wirklich furchtbar. Ich werde öfter hingehen u. versuchen, ihn etwas zu zerstreuen, damit der Mann auf andere Gedanken kommt.
Hans Brass: TBHB 1946-01-22. , 1946, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-01-23_001.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2024)