schreibt von seiner Lebensmüdigkeit, es habe sich, meint er, „so wenig geändert, im Großen wie im Kleinen“. Besonders erschreckt ihn die neuerliche Ausbreitung des Nazigeistes, man baue, meint er, die Nazibeamten ab, aber gleichzeitig werde die breite Masse von Tag zu Tag mehr vom Nazigeist erfaßt. Man sagt, daß die Nazis für Ernährung u. Heizung gesorgt hätten, während die jetzigen Machthaber das Volk hungern u. frieren lassen, während sie selbst gut leben. Dazu kommt die Legende, von der ich ja schon öfter gehört habe, daß die Nazis den Krieg gewonnen hätten, wenn die Offiziere u. Wirtschaftsführer nicht Sabotage getrieben hätten. Es ist also wieder die alte Dolchstoß-Legende von 1918. – Das Schlimme ist, daß man diesen Dingen nicht entgegentreten kann, weil unsere wirtschaftliche Not wahrscheinlich noch größer werden wird bei einer gleichzeitigen Ueberfüllung des Lebensraumes durch die Ostflüchtlinge mit ihrem furchtbaren Elend. Es ist in der Tat zu fürchten, daß diese Dinge eines Tages zu einer Explosion führen müssen, denn auch das geduldigste Volk kann das auf die Dauer nicht aushalten. Dabei scheint wieder wie 1918 Frankreich dasjenige Land zu sein, welches in seinem Haß gegen Deutschland keine Grenzen kennt u. die Dinge auf die Spitze treibt. Diesmal ist dieser Haß ja leider allzu begründet, denn wir haben dort böse gehaust u. das französische Volk furchtbar geschädigt, besonders durch die Deportation von Arbeitern nach Deutschland, wo furchtbar viele zugrunde gegangen sind. In der kleinen Monatsschrift „Neue Auslese“, die mir Dr. Krappmann schickte, ist ein Artikel einer Französin Claire Davinroy abgedruckt. Sie hat furchtbare Erlebnisse im Konzentrationslager von Ravensbrück durchmachen müssen u. bezeichnet die Deutschen mit den Worten „Heuchelei u. Grausamkeit“, wohl gemerkt: die Deutschen, – nicht bloß die SS u. die Nazis. Und das ist das Furchtbare: die Nazis haben den deutschen Namen so durch den Dreck gezogen, daß wir wohl auf lange Zeit hinaus in der ganzen Welt nur als eine minderwertige Rasse angesehen sein werden. Und – vielleicht haben sie Recht. – Auf jeden Fall wird, wenn nicht bald eine Entspannung, – oder nur ein Nachlassen der Spannung eintritt, Schlimmes zu befürchten sein. So, wie es ist, kann es nicht mehr lange weitergehen; aber es wird ja noch viel schlimmer werden, nachdem jetzt der Abtransport der aus dem Osten ausgewiesenen Deutschen wieder aufgenommen werden soll. Diese Menschen sollen nun in die englische Zone verfrachtet werden.
Dabei kriselt es bei den anderen bedenklich. In Amerika sind Riesenstreiks ausgebrochen u. die amerikanischen Besatzungssoldaten in Deutschland verlangen ihre Entlassung. Heute abend wurde durchgegeben, daß in Frankreich eine Regierungskrise urplötzlich ausgebrochen sei u. das General de Gaulle zurückgetreten wäre. Von russischen Soldaten hört man ebenfalls hier u. da sehr bedenkliche Äußerungen über ihre Regierung u. über Stalin. Der sog. Weltsicherheitsrat, der sich innerhalb der Vereinten Nationen in dieser Woche erst gebildet hat u. sozusagen noch nicht Papier u. Bleistifte besitzt, soll sich nun bereits schon mit dem russisch-persischen Konflikt wegen Aserbaidschan beschäftigen u. das wird eine recht kitzelige Sache werden. Man kann sehr gespannt darauf sein, wie diese Geschichte ausgeht, bei der ja der Gegensatz England-Rußland offen am Tage liegt. – Es sieht alles sehr beängstigend aus. Frankreich will u. besteht auf der Abtrennung des Ruhr- u. Saargebietes von Deutschland u. verhindert vorher jede Zentralregierung, wogegen alle deutschen Parteien die Unverletzlichkeit der alten Reichsgrenzen
Hans Brass: TBHB 1946-01-20. , 1946, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-01-20_002.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2024)