dürfte dann zu Hoffnungen berechtigen. Man gibt jetzt hinterher zu, daß das Scheitern der Außenminister-Konferenz in London eine überaus ernste Angelegenheit gewesen ist. Jetzt hat man sich über alle Fragen so ziemlich geeinigt, mit Ausnahme der neu aufgetauchten Persischen Frage. Auch über Bulgarien + Rumänien scheint man sich einig geworden zu sein, doch scheinen hier England u. Amerika erhebliche Konzessionen gemacht zu haben. Das Geheimnis der Atombombe ist jedenfalls nicht preisgegeben worden.
Gott sei gedankt! – das Jahr 1945 ist aus u. zu Ende. Das Neue Jahr wird uns noch durch sehr tiefe Abgründe führen, aber endlich wird es uns doch zum neuen Anstieg führen. Es ist voll Hoffnung.
Das Jahr schloß mit zwei guten Ereignissen. Am Nachmittag kam Koch-Gotha mit seiner Frau. Er trägt jetzt einen kurz gehaltenen Vollbart. Er sah sich interessiert das auf der Staffelei stehende Bild an u. bat mich, ihm mehr zu zeigen. Er war so verständnisvoll, daß ich ihm immer neue Bilder heranholte, sodaß schließlich sämtliche Bilder vor ihm standen, die ich für einigermaßen einwandfrei halte. Er war voller Zustimmung, besonders in Bezug auf meine Behandlung des Lichtproblems, die er bewunderte u. für völlig gelöst erklärte. Es hat mir große Freude gemacht. Wir saßen noch ziemlich lange beim Kaffee zusammen, der ihm auch behagte, da etwas Bohnenkaffee darin war. Er will an die Sektion für bildende Kunst im Kulturbunde schreiben, daß ich von der dummen Jurierung befreit werde.
Als Kochs fort waren, lasen wir Briefe, darunter der bisher fehlende Brief Nr. 3. von Fritz, der mir sehr große Freude gemacht hat. Er schreibt jetzt ganz frei u. ungezwungen von seinem religiösen Erleben u. von seiner Unschlüssigkeit, ob er sich dem Protestantismus oder dem Katholizismus zuwenden soll. Die Gottesdienste im Lager wechseln jeden Sonntag ab u. er geht in beide, weil ihm das, wie er schreibt, nicht Gewohnheit, sondern Bedürfnis ist. Er tut das, obwohl er deshalb von den Kameraden gehänselt oder gar scheel angesehen wird, aber er kann nicht entscheiden, welcher Gottesdienst der richtige ist. Er sagt offen, daß er sich zum evangelischen Gottesdienst mehr hingezogen fühlt, wahrscheinlich, weil dieser Predigt-Gottesdienst mehr Belehrung ist u. er eben belehrt werden will. Er ist noch nicht so weit, den Opfer-Gottesdienst zu verstehen. Leider schreibt er, daß an eine Entlassung noch nicht zu denken ist.
Abends tranken wir dann eine Flasche Sekt u. zündeten vor 12 Uhr nochmals das Bäumchen an. Gegen 1/2 1 Uhr gingen wir schlafen u. hörten vorher noch das Glockengeläute im englischen Sender. – Heute Morgen hörten wir ein schönes Hochamt aus Hilversum. Die sehr lange Predigt konnte man ganz gut verstehen.
Gestern Nachmittag Küntzels zum Kaffee, später kam Frau Kahl mit ihrem Mann, um diesen vorzustellen. Alles zusammen gleichgültige Leute.
An Fritz geschrieben, doch ist der umfangreiche Brief nicht fertig geworden.
Hans Brass: TBHB 1945-12-31. , 1945, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-01-01_001.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2024)