gewisse Verbände der deutschen Armee in ihren deutschen Uniformen unter Waffen halten; andere sollen englische Uniformen tragen mit dem Worte „Deutschland“ auf dem linken Oberarm. Die Engländer haben das jetzt auch im Rundfunk zugegeben u. haben die Existenz dieser Verbände mit ziemlich fadenscheinigen Gründen erklärt. Die Kriegshoffnungen der Deutschen gründen sich zum Teil auf dieser Tatsache. Die Engländer wissen das. Obwohl sie sagen, daß diese Hoffnungen unbegründet wären, halten sie dennoch diese Verbände weiter unter Waffen. Es ist das sehr merkwürdig.
Die Franzosen sind ebenfalls sehr verschnupft, daß sie nicht zur Moskauer Außenminister-Konferenz zugezogen worden sind. Ferner ist bekannt gegeben worden, daß Belgien sich demnächst an der Besetzung Deutschlands mit zwei Divisionen beteiligen werde. Es erhält dazu Teile im englischen Sektor. Also müssen etwa zwei Divisionen englische Truppen frei werden. Auch Dänemark wollte sich nach früheren Meldungen an der Besetzung beteiligen, doch hat man davon lange nichts mehr gehört.
Gestern war Martha bei Papenhagens u. kam ziemlich erschüttert zurück. Karl Papenhagen habe gesagt, er wolle sich nun seinen eigenen Sarg zimmern. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Der Mann wohnt nun seit 60 Jahren hier u. arbeitete in dieser Zeit in der ganzen Gegend bis Wustrow u. darüber hinaus. Er kennt alle Bauern. Wie ist es möglich, daß er u. seine Familie jetzt schon so hungern, daß der Mann dergleichen sagen kann! Was soll denn da erst im Frühjahr werden? Es müßte dem Mann sehr leicht seien, bei den Bauern zusätzliche Lebensmittel zu bekommen; aber er hat einen dummen Stolz, andere zu bitten. Er kann doch aber unmöglich verlangen, daß die Bauern ihm von selbst etwas bringen.
In dieser Woche hatte Martha viele Auseinandersetzungen mit dem sog. Antifaschistischen Ausschuß, der sich bemüßigt fühlt, für die Flüchtlinge zu Weihnachten etwas zu tun. Anstatt sich nun mit Martha in Verbindung zu setzen, die doch nun seit Jahren hier das Weihnachtsfest sozial organisiert, ist dieser Ausschuß unter Führung von Herrn Dr. Ziel u. Herrn v. Achenbach stur. Sie meinen, die BuStu. sei eine Privatsache, ihre Weihnachts=Aktion aber sei amtlich u. offiziell u. dürfe sich nicht mit Privatpersonen verbinden. Es offenbart sich da der ganze, sture, deutsche Amts=Standpunkt, diese dumme Arroganz beamteter Personen, die zu erhaben über die Fach= u. Sachkenntnisse von Privatpersonen sind, als daß sie sich ihrer bedienen würden. Dabei ist dieser sog. Ausschuß überhaupt garkeine amtlicher Organisation, er maßt sich nur amtliche Eigenschaften an. Der Ausschuß veranstaltet nun für sich eine Sammlung von Geld u. Sachen für Flüchtlinge, d.h., er läßt andere spenden, um sich dann mit dieser Spende dicke zu tun. Die gespendeten Gelder u. Sachen sollen die Flüchtlingen dann möglichst sang= u. klanglos zugestellt werden, denn Frau Burgartz, die mehrfach bei Martha war, um darüber zu reden, meinte, sie sei ein prosaischer Mensch u. habe keinen Sinn für Poesie, d.h. für Weihnachten. So kommt es also, daß Martha nun ihre Weihnachts=Aktion privat für sich allein durchführen wird, ebenso wird der Antifasch. Ausschuß seine Aktion durchführen, u. endlich wird Frau Marie Seeberg noch ein Krippenspiel für sich allein veranstalten. Also ganz deutsch: jeder für sich. –
Hans Brass: TBHB 1945-12-16. , 1945, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-12-16_002.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2024)