bemerkbar. Jede Form u. jede Farbe ist genau durchdacht u. es gibt nun beim Malen nicht die lästigen Probleme, die sonst erst während der Arbeit gelöst werden müssen u. oft eben nicht gelöst werden. Die Grundierfarbe, die mir Gräff zurechtgemacht hat, ist ausgezeichnet, es malt sich sehr leicht darauf.
Nach Tisch kam Paul u. stand ratlos vor dem Bilde. Er fragte, was es darstellen solle u. wieso u. warum u. weshalb. Er ist ein entsetzlicher Banause, u. zwar einer von denen, die stolz darauf sind, ein feines Kunstverständnis zu haben. Er meinte sehr mißbilligend, daß es doch nur sehr wenige Menschen geben könne, die solche Bilder bejahten, was ich ihm mit „Gott sei Dank“ bejahte. Er zog ab mit der Ueberzeugung, daß ich ein armer Irrer sei, – er aber sei klug u. verständig. –
Heute früh war es sehr kalt. Im Laufe des Vormittags hat aber der Frost nachgelassen, jetzt, 3 Uhr Nachmittags, sind 2° Wärme.
Am Dienstag legte ich das Bild an, welches die Fortführung des Stillebens mit den gelben Dahlien u. dem Malkasten im Vordergrunde ist. Es ist nun völlig abstrakt. Von der Mitte des rechten Randes ragt etwas Massiv-Grünes in das Bild hinein. Von oben her schweben leichte, runde, gelbe u. strahlende Körper hernieder u. überwältigen das Grüne mit ihrer Helle. Von unten rechts her tut sich ein dunkler Abgrund auf, aus dem lange, scharfe Stahlspitzen hervorschießen u. sich gegen den gelben Einbruch wehren. Man könnte das Bild „Himmel u. Hölle" nennen.
Am Mittwoch untermalte ich die kleine Landschaft mit den beiden Erlenbäumen am Wasser. Auch dieses Bild habe ich stark verändert. Die beiden Bäume stehen jetzt diagonal voreinander, wodurch das Bild Tiefe bekommen hat, die noch verstärkt wird durch Betonung eines im Hintergrund stehenden Hauses u. eines Pfahles ganz vorn links. Die ganze Landschaft des Hintergrundes habe ich fortgelassen.
Gestern untermalte ich als letztes der zu wiederholenden Bilder den „Melchisedech" genannten Kopf. Auch er ist ganz abstrakt u. als Vision eines Kopfes aufgefaßt. Dieses Bild verspricht sehr stark zu werden.
Heute habe ich angefangen mit der Arbeit. Zuerst die große Meerlandschaft. Der gelbe, flammende Himmel sitzt schon sehr gut, doch machen links die drei Kiefern Schwierigkeiten, die ich jedoch morgen zu überwinden hoffe.
Von Herrn Franz Scheigenpflug bekam ich wiederum einen Brief. Der arme Mann klagt mir sehr beweglich seinen Zustand. Er hat keine Hoffnung, diesen Winter zu überleben, wenn er nicht zusätzliche Nahrungsmittel erhält u. er bittet mich, ihm „einige Centner Kartoffeln“ zu schicken. Es ist sehr schmerzlich, ihm mitteilen zu müssen, daß ich das nicht kann, denn woher soll ich Kartoffeln nehmen? Hier haben vielleicht die Bauern noch so viel Kartoffeln, daß sie sich u. ihre Familien durch den Winter bringen können u. es mag der eine oder andere Büdner, sofern er eine gute Ernte hatte, auch durchkommen, aber wir andern wissen jetzt schon genau, daß wir unsere Kartoffeln im Februar aufgegessen haben werden u. daß dann keine Aussicht besteht, neue Kartoffeln zu bekommen. Niemand weiß, was dann
Hans Brass: TBHB 1945-12-10. , 1945, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-12-14_001.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2024)