gemacht. Ich benutze die Zeit, um das Hauptbuch der BuStu. in Ordnung zu bringen, das seit dem Mai nicht mehr geführt worden ist. Eine wenig erbauliche Arbeit. –
Am Sonntag Nachmittag waren wir bei Frau Longard, die heute Geburtstag hat, zur Vorfeier dieses Tages. Sie hatte einen kleinen Kuchen aus Quark, gequetschten Kartoffeln u. etwas Mehl gemacht, der ausgezeichnet schmeckte, dazu gab es echten Bohnenkaffee gemischt mit Ersatz. Frau L. erzählte eine hübsche Geschichte, die ihrer Erna begegnet ist, als diese jüngst von einer Reise nach Berlin zurückkam. Sie mußte zu Fuß von Ribnitz hierher gehen. Als sie an die Sperre in Körkwitz kam, fing es schon an, dunkel zu werden u. weit u. breit war kein Mensch. Der russische Posten versuchte, die Erna mit Gewalt in seine Wachbude zu ziehen. Es entspann sich ein Kampf, bei dem Erna natürlich unterlegen gewesen wäre. Da griff sie in ihre Tasche u. nahm ein Kruzifix heraus u. gab es dem Soldaten in die Hand. Der besah es sich verdutzt, gab es ihr wieder zurück u. sagte: „Geh“. – So kam sie davon.
Eben erzählte mir Herr Gerdes, der ebenfalls von Berlin hierher gekommen ist u. in Stralsund auf dem Bahnhof übernachten mußte, daß russische Soldaten in der Dunkelheit alle Leute ausgeplündert u. das Gepäck durchsucht hätten. Auch ihm wurde viel gestohlen. Viele Frauen u. Mädchen seien von den Soldaten mißbraucht worden.
Gestern Abend erfuhr ich zufällig von Frau Schuster, daß man mir auf der Gemeinde für die neue Lebensmittelperiode nur die Karte 4 zugebilligt hätte. Ich habe gleich einen erheblichen Krach deshalb gemacht u. habe erklärt, daß ich Anspruch hätte auf die Schwerarbeiterkarte, wie sie ja auch die angeblichen Schriftsteller Herr v. Achenbach u. Herr Dr. Burgartz von je her bekommen. Frau Sch. sagte mir, daß Herr Schröter, Herr Degner u. Paul zusammen so entschieden, hätten. Ich bin ziemlich empört darüber. Paut hätte mir doch wenigstens davon ein Wort sagen können. Wieso sollen diese Schriftsteller, von denen Herr v. Achenbach überhaupt noch kein einziges gedrucktes Wort vorweisen kann, eine höhere Karte bekommen als ein Maler, dem die Nazis seit 1933 die Existenz zerschlagen haben. – Heute morgen sagte mir nun Frau Sch., daß sie wahrscheinlich in der Lage sein würde, die Karte für mich umzutauschen. Dennoch habe ich an den Kulturbund nach Rostock geschrieben u. angefragt, ob es da Richtlinien gibt für eine gerechte Zuteilung.
Ich habe mir gestern unsere Kohlenvorräte angesehen u. leider feststellen müssen, daß diese doch weit geringer sind, als ich angenommen hatte. Ich habe den Verdacht, daß davon gestohlen worden ist. Jedenfalls müssen wir sparen u. ich habe heute erst mittags geheizt.
Endlich habe ich wenigstens vier Keilrahmen zusammen u. mit Leinewand bespannt. Ich dachte, zu Gräff gehen zu können, um mir Grundierfarbe zu holen, aber auch das geht nicht. Gräff hat keine Schlemmkreide u. Leim hat er auch nicht, nur Sichelleim u. auch diesen nur von minderer Qualität. Dieser ist zu weich. Er hofft aber, irgendwo noch etwas Tafelleim auftreiben zu können u. in 3 – 4 Tagen wird er mir Bescheid sagen. Wir werden dann Zinkweiß oder Deckweiß nehmen, wovon Gräff noch hat.
Ich saß bei Gräff in der Küche, seine Frau war auch da u. klagte, daß man sie im ganzen Dorf wie Auswurf behandelt, weil sie früher Nazi gewesen war. Sie sprach besonders von Budde. Ich konnte ihren Reden entnehmen, daß dieser infame
Hans Brass: TBHB 1945-12-04. , 1945, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-12-05_001.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2024)