Gestern wurde bekannt, daß der „Deserteur Lindemann“, ehemaliger General der Artillerie, der steckbrieflich gesucht wurde, in Berlin verhaftet worden sei. Der Denunziant soll ein Ingenieur gewesen sein. Lindemann war also nicht Generalfeldmarschall oder Generaloberst, wie ich früher annahm, sondern nur General der Artillerie. Man nahm an, daß er zu den Russen übergelaufen sei.
Man wird grade hier in unserer entlegenen u. strategisch uninteressanten Gegend scharf aufpassen müssen, daß hier keine geheimen Waffenlager angelegt werden. Das Grundstück des Prof. Reinmöller würde für dergleichen sehr geeignet sein.
An den Fronten nichts Neues. Nur wurde gestern eine amüsante Schilderung des Einmarsches der Amerikaner in ein kleines Städtchen südlich Aachen gegeben u. davon, wie die Einwohner des Städtchens in schüchterner Weise ihrer Freude über die Ankunft der Amerikaner Ausdruck gaben.
Mit Ausnahme eines kaum 5 Min. währenden Alarms war gestern kein Fliegeralarm u. es scheinen auch sonst keine Flieger in Deutschland eingeflogen zu sein. Das ist nach den gesteigerten u. fast pausenlosen Angriffen der letzten Woche auffällig.
Die Verhaftung des „Deserteurs Lindemann“ bestätigt sich. Ein Ingenieur war der Denuntiant.
Von deutscher Seite wird bekannt gegeben, daß bei einem Fliegerangriff der kommunistische Reichstagsabgeordnete Thälmann u. der Sozialdemokrat. Abgeordnete Breitscheid ums Leben gekommen seien. Nun ist dieses Pack auch noch feige obendrein, – denn welches Interesse sollten unsere Gegner haben, ein Konzentrationslage zu bombardieren, u. wenn es versehentlich geschehen sein sollte, so wäre es ja wirklich ein sonderbarer Zufall, daß ausgerechnet diese beiden Reichstagsabgeordneten die Opfer des Angriffs geworden wären in einem Augenblick, da Himmler sämtliche Abgeordneten der Linksparteien verhaften ließ. –
Gestern netter Brief von Ruth. Sie deutet an, daß wieder Gefahr bestünde, daß die Kranken der Heilanstalt abgeholt würden, um beseitigt zu werden.
Abends unsere Nachbarinnen Dohna u. Frau Hipp, die sich verabschiedeten. Frau Hipp sah überaus elend aus.
Wundervolles Herbstwetter. –
Gestern Skizze eines neuen Engelbildes gemacht, – ganz in Blau u. Schwarz.
Gestern ein ganz verfahrener Tag. Am Vormittag das neue Engelbild aufgezeichnet, aber Mittags erschien der Unteroffizier Richter von der Batterie mit einem Obergefreiten, um unsere Pumpe in Ordnung zu bringen. Beide arbeiteten angestrengt bis 6 Uhr Abends mit dem Erfolg, daß die Pumpe nun überhaupt nicht mehr geht u. wir ohne Wasser dasitzen. Am Nachmittag kamen dann noch zwei weitere Soldaten, um unseren Koks in den Keller zu bringen. Sie arbeiteten bis zum Abend, schafften aber nur die Hälfte. Die andere Hälfte wird nun bis zum Sonnabend liegen bleiben müssen. Gegen Abend kam dann noch Dr. Scheid, um meine Bilder zu sehen.
Im Westen geht es langsam weiter. Aachen soll eingeschlossen sein, in den Außenbezirken wird gekämpft. Oestlich Aachen wollen die Amerikaner die Befestigungen des Westwalles durchstoßen haben, sie marschieren auf Köln.
Hans Brass: TBHB 1944-09-14. , 1944, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-09-15_001.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2024)