endlich begriffen, daß seine Position nicht länger haltbar ist u. daß er seinen Westflügel zurücknimmt. Man wird abwarten müssen, ob ihm eine geordnete Absetzbewegung noch gelingen wird. – In Italien haben sie nun Florenz kampflos besetzt. Die Russen scheinen in der Gegend von Warschau einen Rückschlag erlitten zu haben. Es hieß, daß die polnische illegale Armee in Warschau selbst kämpfte, doch war das wohl verfrüht. Da die Polen keine schweren Waffen haben, werden sie sich nicht haben halten können u. die Russen sind nicht gekommen, wie sie erwartet hatten. –
Nachmittags waren Küntzels da. Wir erwogen die Idee, daß Grete, wenn Paul fort ist, notfalls zu uns kommen soll. Durch das Gespräch angeregt, sagte ich, ich könne vielleicht in Zimmer 3 im kleinen Hause für mich ein brauchbares Atelier einrichten, da dort ein nach Norden gehendes Fenster ist. Später meinte Martha dann, ob ich dann nicht lieber mein früheres Atelier, in dem jetzt Fritz wohnt, wieder benutzen wolle. Das wäre natürlich ausgezeichnet u. schließlich habe ich es ja im Jahre 1922/23 für mich gebaut. Ich möchte nur nicht Fritz einfach vertreiben. Dennoch ist dieser Gedanke sinngemäß.
Es bestätigt sich, daß die 7. Armee in der Normandie in vollem Rückzug ist. Sie versucht, hinter die Seine zu gelangen. Dieser Versuch dürfte zu spät sein, denn es wird von der anderen Seite die volle Ueberlegenheit der Luftstreitkräfte eingesetzt, um unsere zurückweichenden Truppen pausenlos zu bombardieren. Es werden sich höchstens Einzelne retten können.
Generalfeldmarschall Paulus, der die bei Stalingrad gefangen genommene 6. Armee führte u. von dem man von unserer Seite niemals mehr etwas gehört hatte, hat jetzt von Moskau aus einen Aufruf an alle deutschen Armeen erlassen mit der Aufforderung, Hitler zu beseitigen u. den Kampf sofort einzustellen. Paulus hat bisher noch nie von sich hören lassen. Er genießt bei der Armee großes Ansehen, wie auch im Hinterlande. Dieser Aufruf dürfte eine starke Wirkung haben.
Heute wurde bekannt, daß die zum Schippen aufgebotenen Frauen morgen früh 4 Uhr abmarschieren sollen nach Prerow. Die Erbitterung im Orte ist groß, – in Stalsund soll es bereits aus gleichem Anlaß zu Krawall gekommen sein. Ferner ist verfügt worden, daß sofort alle Pensionen u. Gasthäuser geschlossen werden sollen u. daß alle Fremden sofort den Ort zu verlassen haben. Das Mädchen Martha sollte morgen mit Jens u. Peter nach Bln. zurückkehren, wir werden sie aber hier behalten, da zu erwarten ist, daß die Eisenbahnen maßlos überfüllt sein werden u. daß ein lebensgefährliches Gedränge entstehen wird. – Die Symtome des Zusammenbruchs steigern sich immer mehr, – es wird noch unvorstellbar werden. –
In Italien scheinen sich neue Dinge vorzubereiten. Churchill war dort oder ist noch dort u. hatte Konferenzen. Es scheint, als träte man dort zu einem großen Sturm an, vielleicht mit einer neuen Landung in Südfrankreich.
Hans Brass: TBHB 1944-08-13. , 1944, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-08-14_001.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2024)