Die Russen stoßen jetzt in Polen scharf vor. Lemberg haben sie umgangen u. haben Jaroslau eingenommen. Nördlich sind sie über Lublin hinaus vorgestoßen. Von den 24 seit einem Monat in russische Gefangenschaft geratenen Generalen haben 16 einen Aufruf an die Deutschen Generale u. Offiziere erlassen, der von Flugzeugen über der Ostfront u. dem Hinterlande abgeworfen worden ist u. in dem die Offiziere aufgefordert werden, die Waffen niederzulegen. Es kann kein Zweifel sein, daß solch ein Aufruf starke Wirkung haben wird, wenn auch nicht sofort. Im deutschen Heeresbericht ist heute von Straßenkämpfen in Lemberg die Rede. Immer mehr zeigt sich, daß die Annahme unserer Führung, daß die Entscheidung im Westen fallen wird, falsch ist, – sie wird im Osten fallen. In der Normandie kommen die Angloamerikaner nicht weiter, – wenigstens vorläufig noch nicht, aber uns gelingt es noch viel weniger, sie dort entscheidend zu schlagen, wie ja doch unser Plan war. –
Das Blumenstück „Astern“ habe ich auf einer Malpappe malen wollen, die ich gelegentlich einmal im Hause gefunden habe, – woher sie stammt, weiß ich nicht. Dieser Malgrund ist aber so miserabel, daß ich den Versuch wieder aufgeben mußte. Ich habe die Naturstudie heute nochmals durchgezeichnet u. streng stilisiert u. habe wieder Aquarellpapier aufgezogen, welches ein wirklich sehr schöner Malgrund ist. Es hat nur den Nachteil, daß sie das Bild nachher leicht wirft.
Frl. Sinn ist heute abend bei uns eingezogen, da sie im Kurhaus nicht bleiben konnte, weil es dort überfüllt ist. Heute bekam ich eine Vorladung ins Gemeindeamt, Militärpapiere waren mitzubringen. Es wird nun ja am allertotalsten Mobilisiert. Mein Wehrpaß lautet dahin, daß über meine eventuelle Einberufung das Wehrbezirkskommando Stralsund entscheidet. Ich wies den Bürgermeister auf diesen Satz hin, worauf er meinte, daß dann alles in Ordnung sei. Ich zog erleichtert wieder ab; aber man ist eben nie sicher.
Nachdem seit Kriegsausbruch nun schon fünfmal die „totale Mobilisation“ befohlen worden ist, ist gestern die sechste totale Mobilisation ausgerufen worden. Der Reichsmarschall Herm. Göring ist zum Bevollmächtigten dieser Maßnahme ernannt worden u. er hat Josef Goebbels mit der Durchführung betraut. Und in dieser Eigenschaft hat er heute Abend eine Rundfunkrede gehalten. Er hat natürlich mit dem Attentat auf den Führer begonnen, wobei einige kleine Einzelheiten neu waren, nämlich, daß der Oberst Graf Stauffenberg von einem General zu einer Lagebesprechung ins Hauptquartier beordert worden sei u. daß der Oberst den Sprengkörper in einer Aktentasche vor den Führer hingelegt hat, der anscheinend am Kartentisch saß. Wer dieser General war hat Herr Goebbels verschwiegen. Stauffenberg hat sich wohl vor der Explosion in Sicherheit gebracht u. ist unmittelbar darauf in einem Flugzeug nach Bln. gefahren. Er muß überzeugt gewesen sein, daß der Führer tot sei, denn er hat in Bln. den anderen verschworenen Generalen, deren Namen Goebbels ebenfalls verschwieg, diese Nachricht überbracht. Diese Generale
Hans Brass: TBHB 1944-07-25. , 1944, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-07-25_001.jpg&oldid=- (Version vom 27.7.2024)