erklärt worden, daß man nicht daran dächte, das Baltikum zu räumen, sondern daß man es verteidigen wolle wie Deutschland selbst; aber das hat man auch von Minsk gesagt, u. doch liegt diese Stadt heute weit hinter der Front. Im Süden haben die Russen Pinsk genommen.
In der Normandie geht es nicht weiter. Ich nehme an, daß die Anglo-Amerikaner noch nicht genug Material herübergeschafft haben u. daß die Kämpfe dort vorläufig noch immer nur den Zweck haben, unsere Kräfte zu binden u. abzunutzen. Der eigentliche Angriff steht noch aus u. wahrscheinlich auch eine neue Landung.
Auch in Italien geht es nur langsam vorwärts. Die Amerikaner haben drei Tage hintereinander München schwer angegriffen, wahrscheinlich, um die Verbindung sowohl nach Italien wie nach Südfrankreich zu stören.
Am Freitag kam Irmingard Wegscheider, um Jens u. Peter zu besuchen. Sie fährt morgen wieder nach Bln. zurück. Sie wollte eigentlich erst Dienstag fahren, aber ab morgen tritt eine plötzlich verfügte, sehr drakonische Reisebeschränkung in Kraft, was sie zur früheren Abreise veranlaßt. Diese Reisebeschränkung, die erst am Tage des Ferienbeginns bekannt gegeben wird, ist wieder einmal ein tolles Stück. Es ist zu erwarten, daß die Sommergäste, welche ab morgen hier erwartet wurden, absagen werden u. die Gaststätten plötzlich leer stehen, nachdem sie alles vorbereitet haben.
Heute früh Andacht nur mit Martha, Irmingard u. Trude. Mittags im Kurhaus. Nachmittags kamen Küntzels mit ihrer Tochter Inge u. deren beiden Kindern. Diese Inge ist mir u. Martha gleichmäßig unsympathisch. Martha ist erkältet u. hat sich früh ins Bett gelegt, nachdem ich ihr einen Halsumschlag u. nasse Strümpfe angezogen habe.
Gestern Vormittag Frau v. Schulenburg, die mich nach einem Geistlichen in Bln. fragte. Ich nannte ihr Pfr. Feige. Die Russen haben Grodno genommen u. den Njemen überschritten. Sie stehen nördlich davon dicht vor Kowno, das sie wohl auch heute oder morgen nehmen werden. In Italien ist Arezzo von den Angloamerikanern genommen worden, Livorno wird sich kaum halten können.
Im Reich las ich einen Artikel von Schwarz vom Berge, der dunkle Andeutungen enthält über die Anwendung einer neuen Geheimwaffe, die sich diesmal gegen die Schiffe richten soll. Man munkelt auch sonst davon. Nach Herrn Schwarz soll diese Waffe gewaltige Wirkung haben. Die Wirkung von V1 scheint in letzter Zeit etwas abgenommen zu haben; es ist denkbar, daß das mit der Vorbereitung dieser neuen Waffe V2 zusammenhängt. Man muß das abwarten. Es ist natürlich denkbar, daß da irgend etwas erfunden worden ist, zumal schon gleich nach dem ersten Erscheinen von V1. Churchill in London eine Bemerkung im Unterhause gemacht haben soll, daß es schon damals eine sehr starke, geheimnisvolle Detonation gegeben haben soll, welche aus dem Meere zu kommen schien. Die DAZ hat das berichtet u. ich konnte mir keinen Vers daraus machen. –
An Fritz geschrieben, auch an Otto u. Lita Wendt, für Geburtstagswünsche bedankt. Fritz sandte gestern kurzen Gruß mit zwei Ansichtskarten der schönen Gegend in Südfrankreich. Die Terroristen haben offenbar ihre Taktik
Hans Brass: TBHB 1944-07-14. , 1944, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-07-16_001.jpg&oldid=- (Version vom 27.7.2024)