Messe war um 9 Uhr morgens, der Weihnachtsbaum brannte, wir sangen eine deutsche Singmesse. Der Pfarrer blieb zu Tisch bei uns. Er war gesünder und frischer als sonst. Er erwähnte beim Essen, daß er an das Ordinariat in Berlin ein Gesuch gerichtet hätte, mir die missio canonica zu erteilen u. er meinte, daß er, falls dieses Gesuch nicht bewilligt werden sollte, von sich aus mich zu seinem Stellvertreter als Religionslehrer hier im Orte bestellen würde, damit man mir dann keine Schwierigkeiten mehr bereiten könne. Allerdings gilt das dann nur für katholische Kinder.
Das schicksalsschwerste Jahr Europas hat begonnen. Dieses Jahr muß die Wende bringen. Sie wird bitter für uns alle werden, aber besser so, als dieses Grauen ins Endlose fortsetzen.
Gestern Mittag kam ein Herr Korsch zu mir. Seine Frau wohnt hier in der neuen Kolonie mit zwei Jungens von 6 u. 8 Jahren. Sie wartet hier den Krieg ab, Herr K. ist Steuersachverständiger bei einer Treuhandgesellschaft in Bln. Er ist ein großer, starken, aber anscheinend etwas gefühlsweicher Mann, seine Frau, die ich nur flüchtig kenne, ist nicht besonders sympatisch. Er berichtete mir, daß er zur Gemeinde von Pfr. Niemöller in Dahlem gehöre u. daß seine Jungens gewöhnt wären, jeden Sonntag zum Kindergottesdienst zu gehen, was nun hier nicht geschehen könne. Er habe nun davon gehört, daß bei uns jeden Sonntag eine Andacht gehalten würde. Das scheint also jetzt Tagesgespräch in Orte zu sein. Er bat mich, daß seine Jungens daran teilnehmen könnten. Ich sagte ihm, daß die Jungens davon nichts verstehen würden, weil unsere Andacht natürlich katholisch sei u. ich meine Ansprache auch nicht auf Kinder abstimmen könne. Er sagte mir, daß es ihm darauf auch garnicht ankomme, es wäre ganz gleichgültig, ob die Jungens davon etwas verstünden, es käme ihm bloß darauf an, daß die Jungens lernen sollten, daß es noch etwas Anderes gäbe als das alltägliche Leben u. daß sie Ehrfurcht bekämen vor der Heiligkeit Gottes. Ich fand das sehr rührend und sagte, daß ich unter diesen Umständen nichts einzuwenden hätte, wenn die Jungens kämen, doch wäre es dann gut, wenn die Mutter erst einmal herkäme. –
Herr Korsch war noch da, als die ganze Familie Monheim kam. Herr Monheim berichtete sehr trocken und sachlich, wie es seine Art ist, von den Zuständen in Berlin. Es ist einfach grauenhaft.
Nachmittags rief Frau Krappmann an u. gab uns die betrübende Nachricht, daß ihr Mann jeden Tag die Versetzung an einen anderen Ort erwarten müsse, sie seien schon beim Einpacken. –
Dann waren wir bei Söhlkes. Ich war zum ersten Male in diesem Hause. Es ist wirklich anerkennenswert, wie sie diese alte Scheune sich hergerichtet haben. Die Eltern der Frau S., Herr und Frau Bock aus Hamburg, – Papier + Büromöbel, – waren auch da. Alle zusammen sind schreckliche Parvenues, aber sehr gutmütig und mit großem Willen zur Anständigkeit, was besonders Herrn Söhlke nicht immer leichtfallen mag.
Hans Brass: TBHB 1943-12-31. , 1943, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-01-01_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2024)