Frau Dr. Kemper hat es mit ihrer pfälzischen Zähigkeit nun doch wirklich fertig gebracht, daß der Pfr. von Marlow, ich glaube, er heißt Kolodzik, am Sonntag zu uns kommt. Er liest am Vormittag in Ribnitz die Messe u. kommt dann Nachmittags mit dem Dampfer herüber. Um 6 Uhr ist dann in unserem Hause hl. Messe. Er wird über Nacht im Hause der Mutter von Frau Kemper, Frau Longard, bleiben u. die Pfarrhelferin, die er mitbringt, will Frau Monheim beherbergen. Am Montag fährt er wieder nach Marlow zurück, sodaß er vielleicht dann noch eine Messe bei uns zelebrieren kann. Da Dr. Wessel mir am Sonnabend Abend die Zähne herausnehmen will, ist es mir lieb, wenn ich am Sonntag Morgen auf diese Weise keine Andacht zu halten brauche. – Für den Pfarrer bedeutet das alles allerdings eine Strapaze. Frau Dr. K. hat auch deshalb mit unserem Pfr. Dobczynski telephoniert, der sehr zufrieden ist damit, denn er ist krank u. kann sein Versprechen, in diesen Tagen bei uns einen Gottesdienst zu halten, leider nicht einlösen.
Aus Berlin kommen nun langsam Nachrichten. Martha bekam heute Abend Verbindung mit Kut's Frau Anneliese, die gesund ist u. die Wohnung ist unbeschädigt, doch soll von der Potsdamer Brücke bis zum Potsdamer Platz u. darüber hinaus alles ein Trümmerfeld sein, ebenso nach der anderen Seite, der Lützowbrücke hin. Von Frau Prof. Triebsch, die ich heute spach, hörte ich, daß auch ihre Wohnung in Bln verbrannt u. das ganze Haus eingestürzt sei. Auch die Wohnung von Prof. Erich Seeberg, die schon früher arg mitgenommen worden war, soll nun total vernichtet sein. Es herrscht jetzt Sturm u. Regen, sodaß die Engländer mindestens eine Pause machen müssen.
Göring hat im Ruhrgebiet eine Rede gehalten, wobei er gesagt haben soll, daß der Führer bei der Machtübernahme gesagt habe: Gebt mir vier Jahre Zeit! – Jetzt verlange er nur ein Zeit von einigen Tagen, dann solle sich das Schicksal wenden. – Es ist das offenbar wieder eine Anspielung auf die neue, geheimnisvolle Waffe, die das Wunder einer Schicksalswende bringen soll. Eine ähnliche Anspielung wurde bereits vor einigen Tagen von offizieller Seite gemacht. Danach wäre also für die allernächsten Tage damit zu rechnen, daß etwas in dieser Richtung geschieht. Das Volk blickt fasciniert auf diesen Augenblick. Es ist gefährlich. Wenn diese geheimnisvolle Wunderwaffe versagen sollte, dann wird die letzte Hoffnung in sich zusammenbrechen u. es wird dann nichts mehr geben, sie wieder aufzurichten.
Gestern wieder einmal eingehenden Brief an Fritz geschrieben zu seinem Geburtstag am 4. Dezember. Ich habe mal die Sache umgedreht u. habe Margret zwar nicht verteidigt, aber doch die psychologischen Voraussetzungen zu ihrem Verhalten gesucht, um Fritz daran klar zu machen, wo seine eigenen, grundlegenden Mängel liegen. Hoffentlich hat es bei ihm endlich mal den Erfolg zur Selbsterkenntnis.
Abends gegen 5 Uhr traf Pfr. Kolotczyk aus Marlow ein. Er brachte seine Pfarrhelferin mit, ein etwas bedarftes Mädchen. Um 1/2 6 Uhr, kamen die ersten Gottesdienstteilnehmer, die vorher beichten wollten. Es wurden immer mehr, sodaß wir erst etwa 1/4 nach 6 Uhr mit der hl. Messe beginnen konnten. Es waren 21 Teilnehmerinnen einschl. Dr. Krappmann u. mir selbst, die einzigen Männer. Das Zimmer war sehr voll. Die Messe war sehr feierlich, es wurden 8 Kommunionen ausgeteilt. Die reizende Frau Sommerhof war da u. natürlich Frau Monheim mit ihren beiden Jungens. Auch unsere Nachbarn Frau Bierwirth mit Jup u. Marianne u. Frau Beichter waren da. Ich hatte den Altar schön geschmückt, wozu zwei blühende Geranien gut halfen. Rechts vom Altar ein Adventskranz mit einer Kerze, links unsere hübsche Krippe, ebenfalls mit einer Kerze. Nach der Messe ging der Pfarrer mit Frau Dr. Kemper u. die
Hans Brass: TBHB 1943-11-26. , 1943, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1943-11-26_002.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2024)