Am Mittwoch Abend war Frau Boroffka bei uns, offenbar, um von mir etwas über Religion zu hören. Am Donnerstag Abend dasselbe mit Frau Marianne Clemens, geb. Ziel, deren Junge bei mir im Religionsunterricht ist. Sie war auch schon zweimal bei unserer Sonntags-Andacht zugegen u. es scheint so, als sei sie überaus begierig, über Religion unterrichtet zu werden. Sie stammt aus einem sehr liberalen Elternhause u. hat dort niemals religiöse Unterweisungen erhalten. Sie weiß also überhaupt garnichts. Der Mann ist Rechtsanwalt in Hmb. u. so weit ich ihn kenne, ist er ein überaus anständiger Kerl. Ich habe mich bereit erklärt, ihr wöchentlich einmal Abends religiöse Unterweisungen zu geben. –
Heute soll die Mutter von Jens Wegscheider herkommen, sie will wohl 8 Tage bleiben u. wir werden dann besprechen, was aus dem Jungen werden soll. Wie ich aus den Reden von Jens entnehmen kann, ist sie überaus nationalsozialistisch gesinnt. Das kann gut werden!
Dr. Wessel soll mir heute einen Zahn ziehen u. auch sonst meine Zähne in Ordnung bringen. Ich werde 14 Tage ohne Zähne auskommen müssen, weil an meiner Prothese ein Stück angesetzt werden muß.
Gestern Mittag kamen Erich Seeberg + Frau. Erich wollte wissen, wie die Sache zwischen Fritz + Margret steht, er wußte noch nicht, daß die Ehe bereits am 7. Oktober rechtskräftig geschieden worden ist. Er ist nach wie vor voll hellster Empörung über Bohners u. hat seiner Schwester gegenüber brieflich dieser Empörung Ausdruck gegeben.
Es ist mir zu Ohren gekommen, daß einige Klatschweiber im Dorfe sich die Mäuler zerschlagen über den Religionsunterricht, den ich den Kindern gebe. Vor allem scheint es diese Frau Siegert zu sein, die als Nationalsozialistin eine Rolle spielt u. furchtbar angibt. Was die Weiber das bloß angeht?
Wieder sehr schöne Andacht, auch Frau Marianne Clemens war da u. schien sehr aufgeschlossen zu sein. Die treueste Mitarbeiterin ist aber Frau Monheim, die keinen Sonntag vergehen läßt, ohne zur Andacht zu kommen.
Der Klatsch im Dorf über den Religionsunterricht geht fröhlich weiter. Martha hat mit dem Lehrer Deutschmann gesprochen, dem die Sache auch bereits zu Ohren gekommen ist. Wir hatten ihn vorsichtshalber gleich zu Beginn des Unterrichts über die Sache informiert u. er hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt; aber nun war doch zu merken, daß er Angst hatte u. vor dem Klatsch u. Frau Siegert zurückweichen wollte. Gestern Nachmittag war aber Frau Prof. Marie Seeberg bei Martha. Sie ist Nationalsozialistin, oder wenigstens steht sie dieser Bewegung positiv gegenüber u. verkehrt darum mit Frau Siegert. Martha hat ihr von diesem Klatsch erzählt u. hat ihr gesagt, daß es sich dei dem Unterricht nur darum handele, daß der Vater von Jens mich gebeten hat, seinem Jungen Religionsunterricht zu geben u. daß daraufhin andere Mütter mich gebeten hätten ihre Kinder daran teilnehmen zu lassen, – daß also diese Sache keinen anderen Menschen etwas anginge. Frau S. rief dann noch am Abend bei uns an u. teilte mit, daß sie bei Frau Siegert gewesen wäre u. daß nun alles in Ordnung sei. Es scheint also, als ob diesem übelsten u. gehässigsten Weibe erst mal der Mund gestopft wäre. –
Jens' Mutter kam gestern Nachmittag. Sie ist, Gott sei Dank, keine Nationalsozialistin, wie ich geglaubt hatte. Sie gehört zu den Vielen, deren Leben völlig verfahren ist, es erscheint alles ziemlich auswegslos. Furchtbar ist dieses Elend der Menschen, die dem Zeitgeist verfallen sind u. nun vor völliger Ausweglosigkeit stehen.
Hans Brass: TBHB 1943-10-23. , 1943, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1943-10-23_001.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2024)