ins Büro zu gehen. Ich hatte gehofft, ihn sonst zu treffen, was aber bis dahin nicht geschehen war. Ich sagte ihm also zu, worauf er noch weiter ging u. mich bat, doch auch die Andacht zur Hl. Stunde am gleichen Donnerstag abends in der Kapelle zu übernehmen. –
Es scheint, als ob er sich jetzt bemühen wollte, mich hier zu halten, nachdem ich ihm gesagt habe, daß ich im Sommer nach Ahrenshoop wolle. Ich habe den Eindruck, daß er sich Mühe geben will, mir eine apostolische Tätigkeit zuzuweisen. Hätte er das früher getan, dann wäre es gut gewesen u. ich hätte mich hier vielleicht wohler gefühlt, obgleich meine ganze Einstellung der seinigen sehr entgegengesetzt ist u. ein Ausgleich kaum möglich ist. Nun aber ist es zu spät, ich kann die Maria gegebene Zusage nicht mehr zurücknehmen.
Donnerstag den 14. Jan. war ich in Charlottenburg zur missio canonica bei P. Leder. Ballin war nicht da u. ich hörte von P. Leder, er habe eine Karte geschrieben, daß er Lungenentzündung habe. Ich fuhr deshalb am Sonnabend nachmittag hinaus, um nach ihm zu sehen, fand ihn aber schon wieder ziemlich wohlauf. Er hatte wohl eine Lungenentzündung leichterer Art gehabt, immerhin über 40° Fieber. Nun aber war er schon wieder auf u. es war Besuch da, – ich kam grade zum Kaffeetrinken. – Dieser Besuch war einigermaßen fatal. Er wurde mir vorgestellt als ein Frl. Grumach u. ein Herr Salomon. Ich hielt beide erst für jüdische Konvertiten, merkte dann aber, daß das keineswegs der Fall war. Frl. G. war eine kleine, dickliche Jüdin u. Herr S. ein Vertreter seiner Rasse, wie er mir in der Seele zuwider ist: ein junger, etwas schleimiger, überhöflicher Mann, nach außen hin bescheiden aber mit einem Gesichtsausdruck, dem man ansieht, daß er mit einer gewissen frechen u. ehrfurchtslosen Dreistheit über alles redet u. überall bescheid weiß. Innerlich arrogant, vertritt er nach außen hin nie seine Meinung, höhlt aber mit fader Witzigkeit die heiligsten Dinge von innen her aus. Diese Leute reden über alles, verstehen nichts, außer, daß sie das Negative erkennen, u. selbst wenn sie irgendwann einmal positiv zu irgendwelchen Dingen stehen, so ist das nur, weil ihnen die äußere Gestalt imponiert. Sie interessieren sich für Literatur, besonders für solche, die irgendwie negativ u. mehr kritisch oder gar spöttisch ist, wie denn überhaupt der Spott ihre stärkste Begabung ist. Eine unangenehme Gesellschaft, mit der ich nicht gern in einem Zimmer bin, – um so weniger, da man durch diese Leute unwillkürlich in eine Linie gedrängt wird mit dem ebenso geistlosen u. üblen Antisemitismus nationalsozialistischer Prägung. Man glaubt plötzlich, daß man dem Nationalsozialismus Recht geben müsse, wenn er dieses Gelichter entsprechend behandelt.
Um so peinlicher war es mir, diesen faden Menschen nicht nur in Ballins Gesellschaft zu sehen, sondern auch noch hören zu müssen, daß Ballin sich mit diesem Menschen dutzte. Mir ist dieses Du mit Ballin ja so wie so peinlich, es kostet mir immer eine kleine Überwindung, das Du herauszubringen, u. ich empfinde es sehr
Hans Brass: TBHB 1937-01-13. , 1937, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1937-01-20_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2024)