Es ist das bezeichnend für diesen Menschen, der ein grenzenloser Egoist ist u. nur das sieht, was er sehen will. Wenn er nur ein wenig nachdenken u. am Leben seiner Mutter Anteil nehmen würde, dann hätte er sich wohl schon längst fragen müssen, woher eigentlich der Übertritt zur kathol. Kirche bei seiner Mutter gekommen ist. Auch sonst hätte er zahllose Anzeichen bemerken müssen, aus denen er hätte entnehmen können, daß die Freundschaft zwischen mir u. seiner Mutter stets vorhanden war. Aber da er diese Freundschaft nicht wollte, so sah u. bemerkte er sie nicht. –
Im Stillen habe ich die Heimlichtuerei Maria stets übel genommen, doch habe ich nie etwas dazu gesagt. Ich mische mich nicht in ihr Verhältnis zu ihren Kindern u. will auch nicht, daß dieses irgendwie durch mich getrübt wird. Aber ganz abgesenen von diesem Verhältnis zu den Kindern war diese Heimlichtuerei eine Lüge u. Unehrlichkeit, die häßlich war. Immerhin hatte Maria nicht allzuviel Gelegenheit ihre Freundschaft mit mir zu verheimlichen, da Kurt sich ja nicht viel um seine Mutter kümmerte u. seinem eigenen Vergnügen nachging.
Nun aber war es ihm plötzlich einmal eingefallen, mit seiner Mutter Weihnachten feiern zu wollen u. Maria war vor die Wahl gestellt, ob sie dies mit mir oder mit Kurt tun wollte. Für mich bedeutete diese Wahl ein Symtom. Entschloss sie sich für Kurt, so war das für mich der Beweis, daß ich selbst nicht unter allen Umständen auf sie rechnen kann u. es wäre sehr fraglich gewesen, ob ich unter diesen Umständen den Plan, ihr im Sommer zu helfen, nicht besser fallen gelassen hätte. Es war ja dies gerade die Ursache gewesen zu unserer vorübergehenden Trennung: ich selbst habe so lange ich Maria kenne, meine eigenen, persönlichen Interessen in den Hintergrund gedrängt. Daß ich heute so ohne alle Hilfsmittel bin, ist ja die Folge davon. Jetzt mußte sich zeigen, ob Maria nun aus der damaligen Trennung gelernt hatte, ob sie nun zu mir stehen würde, oder nicht. Und zwar mußte sie zu mir stehen ohne jede Heimlichtuerei, ganz offen. Tat sie das nicht, so hätte es für mich keinen Zweck gehabt, im Sommer nach Ahrenshoop zu gehen, denn ich gebe dafür hier wieder einmal alles auf.
Es war also eine wichtige Entscheidung – u. ich selbst habe keinen Finger gerührt, um diese Entscheidung zu beeinflussen. Es mußte das ganz ihre Sache sein. Nur das Eine habe ich gesagt: Eine Heimlichtuerei u. ein Schwindel kommt nicht in Frage. Ich habe verlangt, daß sie Kurt klar u. offen ihre Freundschaft zu mir bekennt. Im Übrigen war ich darauf gefaßt, daß ich Weihnachten für mich allein verleben würde.
Maria hat die Wichtigkeit der Sache erkannt. Sie hat ihrem Sohn gesagt, daß sie Weihnachten mit mir feiern wolle. Kurt, der sich ja eingeredet hatte, daß ich nicht mehr da sei, war zwar im ersten Augenblick sehr überrascht, hat sich dann aber leicht getröstet
Hans Brass: TBHB 1937-01-04. , 1937, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1937-01-04_003.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2024)