lieber gewesen. Diese gedankenlose Lieblosigkeit u. Trägheit ist zuweilen schwer zu ertragen, um so schwerer, als ich mich dafür dann noch bedanken muß. Etwa 14 Tage vorher hatte ich einen ihrer üblichen Klagebriefe über das Elend ihres Lebens bekommen. – Auch darüber kann ich ihr nichts sagen. Sie leidet weder materielle Not noch hat sie sonst irgend welche Sorgen. Der Grund ihres Klagens besteht nur darin, daß sie allein ist. Das aber ist ihre eigene Schuld. Wenn sie nur ein wenig freundlicher zu ihrer Tochter u. ihrem Schwiegersohn wäre, würde sie dort auch mehr Freundlichkeit ernten. Auch anderen Anschluß hat sie, so viel sie will, aber sie hat sich selbst davon zurückgezogen, weil sie sich für besser hält, als andere. – Ich habe ich, um sie aufzumuntern ihr einen langen Brief geschrieben, habe ihr von meinem Plan erzählt, nach Ahrenshoop zu gehen usw. u. habe ihr, weil sie wiederum bissige Bemerkungen über meinen kathol. Glauben gemacht hatte, zu bedenken gegeben, daß ich selbst in diesem Glauben froh u. glücklich bin, obgleich mein materielles Leben sehr viel ärmlicher ist, als das ihrige, während sie nur immer vom Elend ihres Lebens zu schreiben wisse. Ich habe ihr gewünscht, daß Gott ihr die Augen öffnen möge u. daß sie endlich einsehen möge, daß dieses ihr Elend eben die Folge ihres Hasses auf die kathol. Kirche sei, – eines Hasses, der seinen ganzen u. einzigen Grund in den Zeitungslügen fände, die sie liest u. glaubt. Sie scheint mir das sehr übel genommen zu haben, denn gestern Abend fand ich eine Karte von ihr hier vor, auf der sie mir schreibt, daß sie infolge ihres Alters u. ihres Gesundheitszustandes auf meine Ausführungen nicht eingehen könne u. daß meinerseits Mißverständnisse vorlägen. Das ist immer wieder dieselbe Taktik. Sie selbst gefällt sich in verletzenden Bemerkungen über die kathol. Kirche, u. wenn ich darauf eingehe, – nicht, um die Kirche zu verteidigen, sondern um sie vom Irrtum zu befreien, dann ist sie beleidigt, dann ist sie zu alt u. zu krank, dann versteht man sie nicht. –
Da ist nichts zu machen. Diese unglückliche Frau hat seit meinen Kindertagen ihrer ganzen Familie das Leben zur Hölle gemacht. Wir Kinder haben uns dem durch die Flucht entzogen so gut es ging. Nun macht sie sich selbst auch noch ihre letzten Lebenstage zur Hölle. Man darf sie nicht unter dem Gesichtswinkel des Normalen betrachten. Es sind ja garnicht die äußeren Verhältnisse, die sie quälen, denn sie lebt ja durchaus gut u. entbehrt garnichts. Sie quält sich selbst. Und das ist einfach pathologisch. Sie bereitet sich selbst ein Fegefeuer. Möge Gott sie bald erlösen! –
Die Tage bei Maria waren um so schöner. Die Gefahr, daß ihr Sohn Kurt, mit dem ich in einem sehr gespannten Zustande bin, hier blieb u. mit seiner Mutter Weihnachten feiern wollte, war sehr groß. Seit einigen Jahren hat Maria ihren Verkehr mit mir vor Kurt verborgen, sodaß dieser glaubte, ich sei garnicht mehr vorhanden.
Hans Brass: TBHB 1937-01-04. , 1937, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1937-01-04_002.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2024)