So ist diese Adventszeit dahingegangen ohne innere Sammlung. Die Wohnungsschwierigkeiten Marias, ihr unvorhergesehener Umzug nach Moabit, haben auch mich sehr gestört. Ich sehe kommen, daß dieses ganze Weihnachtsfest eine verkorxte Sache werden wird. Marias Tochter Ruth hat in diesen Tagen ihr Doktorexamen in München gemacht u. ist nun wieder hier. Zwar fährt sie über Weihnachten nach Ahrenshoop zu ihrem Bruder Fritz, doch hat sie mit ihrer anspruchsvollen Art auch ihrerseits weitere Unruhe in Marias Leben gebracht. Das Schlimmste aber ist ihr Bruder Kurt, der diesmal nicht wie sonst ins Riesengebirge fährt, sondern in Bln. bleibt. Er wird sicher mit seiner Mutter zusammen sein wollen. In diesem Falle kann ich dann sehen, wo ich bleibe.
Es ist das wieder eine recht böse Sache. Marias religiöses Leben wird durch die Kinder, die alle religiös vollkommen gleichgültig sind, die aber darum um so anspruchsvoller sind, in Unordnung u. Verwirrung gebracht u. mein eigenes Leben wird dadurch unheilvoll berührt. Wieder einmal entsteht so eine Störung meines Lebens durch Maria, obgleich sie nichts dafür kann.
Ich muß das diesmal in Kauf nehmen in der Hoffnung, daß Maria um so stärker fühlen wird, daß eine Verbindung mit ihren Kindern unmöglich ist. Diesen Kindern fällt es ja nicht im Geringsten ein, auf die Mutter Rücksicht zu nehmen. Sie wollen ihren Vorteil. Sie wollen ein „gemütliches“ Weihnachten, d.h. ein Weihnachten ohne Christus, – ein Weihnachten mit möglichst viel Geschenken u. möglichst viel Essen; aber sie selbst geben nichts. Ich denke, daß Maria einsehen wird, daß das so nicht geht u. daß sie nichts besseres tun kann, als im nächsten Jahre bei den Schwestern in Müritz zu sein.
Am letzten Donnerstag war ich mit Ballin zusammen. Er lud mich ein zum 3. Weihnachtstag, der diesmal der Sonntag ist. Dr. Willig kommt auch zu ihm. Ich lehnte die Einladung ab aus Rücksicht auf Maria. Nun kann mir passieren, daß ich allein bin! –
Vom 24.12.36. bis gestern Abend war ich bei Maria. Es waren wirklich schöne, segensreiche Tage des inneren Ausruhens u. der Sammlung u. des festlichen Erlebens des Weihnachtsfestes.
Am 24. Dez. erhielt ich von Kuratus Dr. Willig ein Weihnachtspaket mit allerhand Eßwaren u. dazu noch 5,– Rm. – Ballin hatte ein Kistchen Cigarren beigepackt. Diese Freundschaft des Dr. Willig u. des Ballin zu mir ist wirklich sehr rührend, – schade ist nur, daß ich damit so garnichts anfangen kann. Von meiner Mutter bekam ich ein Paket, für das ich 15 Pf. Bestellgeld bezahlen mußte u. in dem so gut wie nichts drin war, zumeist Papier. Sie hätte das als Päckchen schicken können, hätte sich das halbe Porto und mir das Bestellgeld sparen können. Wie üblich, war in dem Paket weder ein Brief, noch ein einfacher Gruß darin. Ein freundlicher Gruß ohne Paket wäre mir
Hans Brass: TBHB 1937-01-04. , 1937, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1937-01-04_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2024)