Zum Inhalt springen

Seite:HansBrassTagebuch 1936-02-03 004.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

ich nur als meine Peiniger u. als Folterknechte betrachtete u. die ich teilweise tief verachtete; aber andererseits war mir der dumme Stolz u. der Eigendünkel so tief eingeimpft worden, daß auch ich den Offiziersstand als den einzig würdigen ansah. In dieser Verfassung kam ich zuerst an die Kunstgewerbeschule in Magdeburg in einen Kreis von Schülern, der fast ausschließlich aus einem üblen Proletariat bestand. Diesen jungen Leuten wurde hier, ähnlich wie mir vorher im Kadettenkorps, ein dummer Stolz eingeimpft. Sie, die nichts weiter waren als brave Malergehilfen oder Tischler oder Buchdrucker oder Klempner, ihnen wurde ein alberner Dünkel eingebleut, als wären sie große Künstler u. Studenten u. die Zukunft Deutschlands. Nicht ein einziger von all diesen jungen Leuten ist später irgendetwas geworden, dagegen sind sie für ein vernünftiges Handwerk radikal verdorben worden.

     Nach zwei Jahren war ich von diesem Leben derart angeekelt, daß ich kurzer Hand nach Berlin ging u. nun ein grausames Leben begann im Kampfe gegen Hunger, Not u. Elend. Ich arbeitete auf einem Neubau als Anstreicherlehrling mit 10– Rm. Wochenlohn, bis ich infolge von Entkräftung einen äußerst schmerzhaften Rheumatismus bekam, wobei mich meine Zimmerwirtin, eine alte Hebamme u. leibhaftige Kuppelmutter pflegte. Ich rückte dann einfach nach München aus u. versuchte, bei Wilhelm von Debschitz zu arbeiten; aber unversehens geriet ich in jene ganz leichtsinnige Gesellschaft junger Künstler u. Studenten, die ihre Nächte im Simplizissimus bei Kathi Kobus verbrachten u. den Tag verschliefen. Nach einem knappen Jahre hatte ich auch das über, ging nach Berlin zurück u. begann hier mit anderen jenes zwecklose Bohèmeleben im Kaffee des Westens, stets ohne Geld, zuweilen ohne Wohnung. Es war ein ständiges Wandern am Abgrunde.

     In all diesen Jahren habe ich eigentlich nichts weiter getan, als gegen den Dünkel anzukämpfen, der mich selbst dann nicht verließ, wenn ich obdachlos im Tiergarten auf Bänken nächtigte – oder wenn ich sinnlos betrunken war. Es war ein Kampf um die Erkenntnis des Sinnes des Lebens, dessen Sinnlosigkeit gleichwohl überall offenbar war. Ich hätte gut u. gern nicht schlecht bezahlte Stellungen annehmen können. an Angeboten dazu fehlte es keineswegs; aber das war für mich schlechterdings unmöglich. Wenn ein junger Mensch sich plagen muß, um alles in sich totzuschlagen, was er bis dahin gelernt hat, einschließlich der Erziehungswerte, die er im Elternhause empfangen hat, dann ist er damit voll beschäftigt, – er kann nicht in harter Sklavenarbeit um Brot arbeiten. Es war eine Zeit, in der ich aber auch alles verachtete, – ich verachtete Vater u. Mutter, Lehrer u. jeden, der es überhaupt in diesen Verhältnissen zu etwas gebracht hatte. Achten tat ich nur die Vagabunden unter Brückenbögen, – aber auch hier, – u. nun zum Glück, – rettete mich mein Dünkel davor, mit diesen gänzlich unterzutauchen. So muß ich also am Ende sagen, daß der Dünkel meiner Erziehung mich zwar in diesen Kot gebracht hat, aber andererseits hat er mich auch davor bewahrt, darin zu verkommen. Und die eiserne Disziplin, in der ich erzogen

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1936-02-03. , 1936, Seite 004. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1936-02-03_004.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2024)