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Seite:HansBrassTagebuch 1936-02-03 002.jpg

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Rektor nun auch tun wird. Er sah ziemlich elend aus u. ich hatte den Eindruck, daß sein Zustand ernst ist, wenngleich er sonst auch ganz vergnügt u. munter war u. meinte, daß er keinerlei Beschwerden mehr hätte. Ich fragte vorsichtig u. erfuhr, daß er als Rektor mit den Nationalsozialisten Schwierigkeiten gehabt habe. Er sei damals zur Untersuchung beim Kreisarzt gewesen, der ihm dann gesagt hat, er dürfe ihm den Befund der Untersuchung nicht mitteilen, er empfehle ihm aber, sich sofort pensionieren zu lassen. Wahrscheinlich hat dieser Arzt damals schon den Herzfehler festgestellt. Es ist möglich, daß dieser Fehler die Ursache zu anderen Störungen ist, – jedenfalls muß er sehr unter Verdauungsstörungen leiden, denn der Geruch seines Atems ist zuweilen so unerträglich, daß es schwer hält, in der Kapelle neben ihm zu sitzen, wenn er singt. Möge der l. Gott den sonst so guten u. liebenswürdigen Mann vor einem langen Leiden bewahren.

     Meine Unterhaltung mit ihm war für mich sehr anstrengend, da unsere sonstigen Interessen sich nur sehr lose berühren. Er gab mir aber zwei Bücher, die ich längst gern lesen wollte: Der „Rembrandtdeutsche“ von Momme-Nissen u. „Rembrandt als Erzieher“. Das letztere Buch habe ich flüchtig gelesen als ich etwa 24 Jahre alt war, ohne es damals zu verstehen, jetzt habe ich das Buch von Momme Nissen zu lesen begonnen u. bin davon ungemein gefesselt. Ich erkenne daraus mich selbst u. den Kampf meines Lebens – es ist derselbe Kampf, den Langbehn geführt hat nur daß jener ihn bewußt führte, – ich aber unbewußt. Langbehn entstammt bodenständigen Verhältnissen u. hat eine gründliche Bildung besessen. Seine Kindheit verlief noch in einer Zeit, in der das „Berlinertum“ noch nicht seinen verruchten Stempel auf das Geistesleben Deutschlands gedrückt hatte u. in seinen Lernjahren erlebte er dann diesen Prozeß. Ich aber bin in diesem „Berlinertum“, – in diesem preußischen Geiste, aufgewachsen, – in diesem Geiste, der allen Geist mit Kommißstiefeln niedertrampelt u. der gegenwärtig Orgien feiert. Von Bodenständigkeit ist bei mir keine Rede, nicht einmal über meine Familie weiß ich mehr, als bis zum Großvater. Dieser war väterlicherseits Politiker von fragwürdiger Färbung. Man hat mir erzählt, er sei der Sohn des Hofgärtners am königl. Schloß in Charlottenburg gewesen. Jedenfalls hat er studiert, besaß den Doktorgrad u. war sicher ein intelligenter Mann. Er hat viele Romane höchst unbedeutender Art geschrieben, die ich eine Zeitlang gesammelt, dann aber wieder verschleudert habe. Als Politiker gehörte er den sog. Freiheitskämpfern von 1848 an u. er mußte dann nach der Schweiz flüchten. Dort hat er als Journalist gelebt u. sich mit einer französischen Schweizerin verheiratet, von der ich nur weiß, daß sie sehr musikalisch gewesen sein soll. Sie ist die Mutter meines Vaters gewesen u. von dessen Schwester. Der Großvater ist dann aber wieder nach Berlin zurückgekehrt, nachdem er sich von seiner Frau hat scheiden lassen, – seinen Sohn, meinen Vater, nahm er mit sich, während seine Tochter, die Schwester meines Vaters, in Genf bei der Mutter verblieb. In Berlin begründete der Großvater dann die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, die heutige D.A.Z. u. war als Politiker sehr tätig. Er heiratete dann abermals ein Judenmädchen namens Oppenheim, ich selbst aber habe mit dieser Familie, die er begründete, niemals

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Hans Brass: TBHB 1936-02-03. , 1936, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1936-02-03_002.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2024)