Auf meinem Kalender steht: 1933, Adolf Hitler wird Reichskanzler. – Der Tag heute wird draußen offenbar groß gefeiert. Drei Jahre lang werden wir nun von den Nationalsozialisten regiert, jetzt beginnt das vierte u. letzte Jahr, das sich Hitler damals ausbedungen hatte u. nach dessen Ablauf er Rechenschaft ablegen wollte.
Es ist zweifellos, daß der Nationalsozialismus viel erreicht hat, nur ein Dummkopf könnte es leugnen. Deutschland nimmt in Europa wieder eine Stellung ein, man rechnet mit Deutschland, das ist wahr. Aber wie war es denn vorher? War vorher Deutschland ohne Stellung in Europa? war Deutschland etwa ein luftleerer Raum?
Sicher nicht. Bloß war seine Stellung ganz anders. Deutschland war damals ein besiegtes u. niedergerungenes Land ohne Armee, ohne Soldaten, ohne Kanonen. Es war ein Land, welches nach diesem Kriege u. nach dieser Inflation mit einer beispiellosen Energie sich emporarbeitete. Die Wirtschaft u. das Unternehmertum hatte seine Kräfte ungeheuer angespannt, Wissenschaft u. Kunst ebenfalls, u. so besaß Deutschland eine Stellung in Europa, da um so weniger die Achtung versagt wurde, als man vor diesem wehrlosen Lande keine Furcht zu haben brauchte. – Diese Entwicklung war noch längst nicht abgeschlossen. Selbstverständlich hatten sich bei dem angespannten Aufstreben der Wirtschaft auch Wirtschaftsformen ergeben, die nicht immer schön waren, sie waren zum Teil noch das Erbe aus der Kriegs- u. Nachkriegszeit, in der ja jede Moral untergraben worden war. Auch ist es richtig, daß die Juden sich diese Situation zu Nutze gemacht hatten u. bis in die höchsten Ämter eingedrungen waren. Auch in der Wirtschaft waren sie mächtig. Indessen hatte gerade die letzte Zeit vor dem Umsturz sich bemüht, diese Auswüchse zu beseitigen, – das Deutschland Brünings, mit Hindenburg an der Spitze begann, das Vertrauen des Auslandes auch auf politischem Gebiete zu gewinnen u. man konnte mit vollster Hoffnung in die Zukunft sehen. Da aber wurde Brüning, kurz vor Erreichung dieses Zieles, gestürzt. Der General Schleicher u. der lavierende Papen versuchten, die Erfolge Brünings zu halten u. möglichst doch noch zu verwirklichen; aber Papen, der sicher ein unklares Spiel trieb, dem er garnicht gewachsen war, spielte – ohne es zu wollen, – den Nationalsozialisten die Macht in die Hände. – Es wird wohl erst einer späteren Generation bekannt werden, welches Spiel hinter den Kulissen damals gespielt wurde, um den alten Hindenburg zu übertölpeln. – Herr von Papen wird dabei eine beachtliche Rolle gespielt haben. Der Lohn ist ihm dann später ja auch von den Nationalsozialisten ausgezahlt worden u. er kann sich freuen, heute eine unbekannte Statistenrolle in Wien spielen zu dürfen.
Heute nach drei Jahren ist die Stellung Deutschlands eine andere. – heute hat man wieder Furcht vor Deutschland, u. das ist der bedeutendste Erfolg des Nationalsozialismus, auf den er stolz ist. Die Furcht, die die anderen haben, ist ihm ein Beweis der Macht, – u. darauf ist er stolz. Nur ist nicht zu erkennen, welcher Vorteil uns aus dieser Macht erwächst. Auch vorher ist es niemandem eingefallen, uns etwa anzugreifen, – das wäre nach dem Lokarnovertrage u. vor allem nach der vielfachen Eifersucht der anderen Mächte garnicht möglich gewesen. Zu
Hans Brass: TBHB 1936-01-30. , 1936, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1936-01-30_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2024)