werden muß u. in denen Lieder mit erhobenen Schwurfingern gesungen werden u. schließlich auch die lächerliche Uhr mit den Namen der angeblich tausend Kranken, die sich am Sühnegebet beteiligen sollen. Alles das ist scheußlicher, äußerer Sinnenreiz u. hat nichts mit Innerlichkeit u. wahrer Frömmigkeit zu tun. Nebenan ist das Johanneshaus mit den Obdachlosen denen man zwar Essen u. Trinken gibt u. ein Bett, aber sonst kümmert man sich nicht sehr um die Leute. Ach, – wie schrecklich scheint mir das alles. Ich weiß nicht, ob meine Kritik berechtigt ist. P. Petrus ist sicher ein heiliger Priester, – aber doch habe ich ein tiefes Gefühl der Abneigung gegen ihn u. alles, was er tut. Alles ist Fanatismus, fast scheint es mir zuweilen hysterisch. Wie verehrungswürdig erscheint mir dagegen ein P. Krächan mit seiner ruhigen, gelassenen u. temperierten, – wahrhaft, „geordneten“ Liebe u. Freundlichkeit. Ach, – auch er kann grob werden u. äußerst unliebenswürdig, – aber in seiner Unfreundlichkeit zittern schon die Tränen darüber, daß er's sein muß. Dagegen habe ich oft schon Gelegenheit gehabt zu beobachten, daß P. Petrus hart u. eisig kalt ist, wenn er jemanden nicht leiden mag, – u. wie oft sind das nur Vorurteile persönliche Antipatie bei ihm, ohne Grund, – ja, zuweilen kann er gehässig sein gegen Menschen, die meiner tiefsten Ueberzeugung nach sehr fromm u. rechtschaffen sind.
Wahrlich, der liebe Gott hat mich hier in eine harte Schule geschickt. Möge Er mir Kraft u. Stärke verleihen, daß ich ohne Täuschung die rechte Lehre daraus ziehe u. nicht Schaden nehme an meiner armen Seele.
Gestern Nacht während der Anbetung beobachtete ich wieder wie schon oft eine Frau, die bereits da ist, wenn ich um 12 Uhr komme u. noch da bleibt, wenn ich um 3 Uhr gehe. Sie mag etwa 55 Jahre alt sein ist kräftig, grobknochig, nicht unsympatisch. Sie sieht nicht unterernährt aus, wenn sie auch blaß ist, aber sie sieht aus, als trüge sie ein schweres Leid. – Ich erkundigte mich bei der Nachtwache, aber niemand weiß, wer sie ist. Man sagte mir, sie käme meist schon früh, gegen 10 Uhr, u. bliebe stets bis zum Morgen. – Als ich um 6 Uhr zur Frühmesse kam, war sie tatsächlich noch da. Ich wartete noch die zweite Messe ab, aber auch dann ging sie nicht. Sie ist eine eigenartige Erscheinung, ich muß versuchen, hinter dieses Geheimnis zu kommen.
Gestern schrieb ich an Frl. O. nach Hannover, nachdem mir Maria ihre Adresse auf meinen Wunsch geschrieben hatte. Der Grund ist folgender:
Frl. O. ist eine Dame, die im Sommer bei ihren Verwandten in Ahrenshoop ist, die dort eine sehr schöne Villa haben. Frl. O. selbst ist die Tochter eines sehr hohen u. sehr bekannten Wissenschaftlers in hoher Stellung. Der Vater ist vor nicht langer Zeit gestorben. Die Mutter ist getaufte Jüdin. Folglich finden auf Frl. O. alle Bestimmungen des sog. Arierparagraphen Anwendung. Sie ist überdies darauf angewiesen, Geld zu verdienen. Sie ist ein fein empfindender Mensch u. leidet sehr unter der Aechtung, der alle Nichtarier u. unserem herrlichen Deutschland ausgesetzt sind, zudem ist sie schwächlich u. zart.
Im Sommer war ich mit Maria bei ihr zum Kaffee. Sie erzählte, daß sie angesichts der neuen, unerhört scharfen u. unmenschlichen Bestimmungen gegen die Nichtarier möglicherweise ihre Stellung verlieren würde, sie machte sehr offene Bemerkungen, daß sie vielleicht
Hans Brass: TBHB 1935-09-29. , 1935, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1935-10-01_001.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2024)