groß gefeiert. Hatte ich mich dem auch heute morgen entzogen so ging das am Abend nicht, oder ich hätte an der Abendandacht nicht teilnehmen können.
Die mit Goldbronze angestrichene Gipsfigur des hl. Michael, die über dem Portal zur Kapelle steht u. übrigens nicht schlecht aussieht, war schon gestern mit einer Girlande umgeben worden, in der kleine Glühbirnen brannten. Die Abendandacht begann mit einer Predigt des P. Petrus, in der er unter übermäßigem Stimmenaufwand, wie er es bei feierlichen Anlässen leider immer tut – die Figur des hl. Engels u. seine Funktionen beschrieb. Sodann wurde eine Prozession gebildet, voran Br. Benedikt mit dem Prozessionskreuz, dann die kleinen Chorjungens, die immer sehr niedlich aussehen, dann die Brüder in weißen Chorhemden dann P. P., rechts u. links begleitet von Pf. Burg u. P. Antonius, – d.i. der neue, junge Pater, der zur Unterstützung von P. P. jetzt hier ist, u. schließlich sämtliche Schwestern mit Kerzen. Dieser Aufmarsch der Schwestern hat für mich immer etwas Deprimierendes. Alle sehen elend u. blaß aus. Dazu kommt, daß ihre Tracht sehr unkleidsam ist, u. von den Gesichtern muß man sagen, daß man so ziemlich vergeblich nach Anzeichen von Intelligenz sucht. An das Ganze schloß sich die liebe Gemeinde an. Man ging, wie üblich in solchen Fällen, einige Male singend auf dem Hofe im Kreise herum. Besonders in der Dunkelheit sehen die Fabrikfronten des Hofes einem Gefängnishofe verzweifelt ähnlich.
Inzwischen waren vor dem Kapelleneingang, d.h. vor jener Statue des hl. Michael, drei Kniebänke für die drei Geistlichen aufgestellt worden u. es begann nun eine Andacht indem Psalmen gelesen wurden. Sodann stimmte P. P. das Te Deum an u. man ging wieder in die Kapelle hinein, wo die gewöhnliche Abendandacht mit Segen gehalten wurde.
Es war schrecklich voll u. ich sehe, daß diese Menschen von solchen Veranstaltungen schwer begeistert sind. Und darauf kommt es ja wohl an. Es ist belanglos, daß mir selbst solche Sachen ganz entsetzlich zuwider sind. Ich sehe darin nichts, als ein Theater u. blauen Dunst, den man den Leuten vormacht. Es ist garkein Zweifel, daß bei keinem dieser Gläubigen von einer inneren Andacht die Rede sein kann. Aber das wollen sie auch nicht. Sie wollen etwas sehen, sie wollen Sensation. Es ist naives, einfaches Volk u. es mag praktisch gut sein, ihnen solches Theater zu bieten, von dem sie noch lange reden u. das ihren Geist beschäftigt. Ich selbst stehe daneben wie ausgespuckt, ich geniere mich u. weiß nicht, in welche Ecke ich mich drücken soll, weil ich mir einbilde, daß jeder mir ansehen muß, wie mir jede Frömmigkeit fehlt, um da mitzutun. Das, was mich dabei so beunruhigt, ist garnicht so sehr die naive Freude der Leute an diesen Dingen. Das verstehe ich ganz gut u. wenn ich selbst auch nicht mitmachen kann, so könnte ich mich doch sehr wohl über diese kindliche Freude der Leute freuen. Man freut sich ja auch über spielende Kinder. Nein, – was mich abstößt ist diese fanatische Inbrunst, mit der P. Petrus dergleichen betreibt. Alles das liegt auf einer Linie: Damals der Abschluß der Maiandachten mit der Weihe an die Mutter Gottes, die scheußliche Fronleichnams-Prozession, die häufigen Einkehrtage für alle möglichen Leute, – jeden Monat wohl an zwei Sonntagen, die sog. „Sturmandachten“, an denen auf altchristliche Art mit ausgebreiteten Händen gebetet
Hans Brass: TBHB 1935-09-29. , 1935, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1935-09-29_003.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2024)