Auffassungen möglich wäre, dann hätte man dies doch sicherlich freudestrahlend im amtlichen Kommuniqué festgestellt. Da man es nicht tat, sondern nur erwähnt, daß „beide Regierungen das Ziel verfolgen, den Frieden Europas zu sichern, so muß man zwingend schließen, daß diese berliner deutsch=englische Besprechung als Resultat ergeben hat, daß die deutsche Auffassung von der Sicherung des Friedens in Europa eine völlig andere ist, wie die der Engländer, – u. damit auch der Franzosen u. Italiener, die ja eben gerade ihre „vollständige Solidarität“ festgestellt haben. –
Fritz Klein meint, daß mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland der wichtigste Grund beseitigt worden sei, der Deutschland bisher verhinderte, sich an den gemeinsamen Beratungen der Mächte zu beteiligen. Ja, – für Deutschland stimmt das wohl. Ob aber die anderen Mächte ihrerseits bereit sein werden, mit dem „brüllenden Löwen“ zu verhandeln, ist doch sehr die Frage. – Fritz Klein sagt weiter, daß die englischen Minister doch sicherlich die Überzeugung aus Berlin mitgenommen hätten, daß von Deutschland keine „Gefährdung des Friedens“ ausgehe. Man kann sich über solche Naivität nur wundern. Oder ist das Ironie? Wenn alle anderen europäischen Staaten vor der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland eine Gefährdung des Friedens gesehen haben, – dann sollen sie es nun plötzlich nicht mehr sehen? – Das dürfte dann ja wieder ein neues Rätsel für den asiatischen Professor des Jahres 3935 sein. Der wird dann feststellen, daß von 1918 bis 1935 sämtliche europäischen Staaten vor einem völlig abgerüsteten und wehrlosen Deutschland gezittert haben wie Espenlaub; aber im Jahre 1935 kam dann die wunderbare Befreiung von dieser Furcht deshalb, weil Deutschland sich in diesem Jahr bis an die Zähne bewaffnete. – Der Irrsinn kann wirklich nicht größer sein!
Ich arbeitete gut an der Exegese weiter. Am frühen Nachmittag kam Maria W. u. brachte Reis, Tomatenmark u. Eier u. ich kochte davon einen Reisbrei. Sie sorgt sich einesteils, daß ich das Essen zu sehr vernachlässige, womit sie Recht haben mag, andernteils ist es ihr, wie ich glaube, ein willkommener Vorwand, zu mir zu kommen. – Ich habe doch zuweilen Bedenken, die Idee mit der gemeinsamen Wohnung weiter zu verfolgen. Der naive Egoismus der Frau ist bei ihr stark, gebe ich den kleinen Finger, so nimmt sie die ganze Hand, u. ich selbst bin nicht hart genug, um meine Isoliertheit zu wahren. Zwar beteuert sie stets, daß sie mich nicht im geringsten in meiner Isoliertheit stören wollen; aber das kenne ich ja. Was will ich denn machen, wenn ich mit ihr eine Wohnung habe. Bald hat sie Kopfschmerzen, bald sonst eine Krankheit. Dann muß ich mich um sie kümmern, – u. ich habe so garkein Talent dazu, mir Klagen anzuhören, denn ich klage selbst nicht. Wo käme ich hin, wenn ich klagen wollte, – bei mir gibt es keinen Tag ohne Schmerzen, die mir mein Bein verursacht, – manchmal mehr, manchmal weniger. Wenn ich diese Schmerzen so ertrage, daß niemals ein Mensch etwas davon merkt, dann, glaube ich, – habe ich genug getan u. ich möchte nicht noch die meist zwecklosen Klagen anderer hören, die überdies der christlichen Lebenspraxis entgegen sind. Wer Schmerzen hat, der freue sich daß er sie hat, denn er ist dann insoweit wenigstens Christus ähnlich.
Aber andererseits denke ich auch, daß Gott von mir vielleicht eine solche Plage will. Vielleicht soll ich nun auch noch lernen, die Klagen u. Plagen anderer geduldig u. lächelnd zu ertragen u. vielleicht soll ich Maria W. lehren, mit sich selbst zurecht zu kommen u. fertig zu werden. Ich habe Angst davor. So wunderbar ich es mir auch denke, gleichsam unter dem Schutz der Salvatorianer in Schmargendorf zu Leben u. so schrecklich mir auch der Gedanke ist im Christ-Königs-Haus in der Petersburgerstraße zu leben, wo es keine reine Luft u. keine Sonne, keinen Baum u. keine Blume, ja nicht einmal einen Himmel gibt, – so habe ich doch Angst davor mit Maria W. in ein u. derselben Wohnung zu leben, Fast
Hans Brass: TBHB 1935-03-27. , 1935, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1935-03-28_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2024)