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Seite:HansBrassTagebuch 1935-03-13 002.jpg

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ankommt, sondern auf die Aufdeckung von häßlichen Unwahrheiten unseres Lebens so kann ich das Malen ziemlich gleichgültig aufgeben, sobald ich eingesehen habe, daß die Menschen sich von solchen Aufdeckungen ihrer Lügen nicht belehren lassen wollen, sondern mich ganz einfach totschweigen und boykottieren. Ich kann das Malen deshalb gleichgültig aufgeben, weil sich mir im Christentum eine weit schärfere Waffe im Kampf gegen Lüge u. Unwahrhaftigkeit angeboten hat. Ich gebe zu, daß ich diese Waffe noch nicht richtig zu führen verstehe u. daß ich noch lernen muß; aber das ist doch nur eine Frage der Zeit u. ich hoffe doch, daß ich bald so weit sein werde, meinen Kampf neu aufzunehmen. Also ist das Aufgeben des künstlerischen Schaffens zwar wohl eine Selbstentäußerung, indem ich mich von Hoffnungen, Wünschen, Eitelkeiten, Erfolgen usw. kühl abwende, denen ich wohl dreißig Jahre meines Lebens vergeblich nachgelaufen bin, – aber es ist keine Selbstzerstörung. Mein inneres Wollen, das Ziel ist genau dasselbe geblieben, nur das Mittel zur Erreichung des Zieles hat gewechselt u. ist ein besseres geworden. Mir ist das Malen ja niemals Selbstzweck gewesen, sondern nur immer Mittel zum Zweck. Dieses Mittel habe ich gewechselt, es heißt heute Religion. Der Zweck ist stets derselbe geblieben, – dieser Zweck ist die Darstellung des höheren Menschen, wie ich das früher nannte, – ist die Darstellung Christi, wie ich es heute nenne. –

Bei Faensens traf ich also Kaplan Stahl. Bei näherer Besichtigung ergibt sich eine Bestätigung des Eindrucks, den ich bisher hatte. Ein junger Mensch, dem es um eine radikale Darstellung des christlichen Menschen geht u. der nicht gesonnen ist, Kompromisse zu machen. Im Detail erkennt man dann, daß er ein echter Berliner Junge ist, – er ist in Berlin geboren, zweifellos aus kleinen Verhältnissen hervorgegangen, unerschrocken, unsentimental, schlagfertig, hell u. offenbar mutig. Seine Sympatie ist offensichtlich beim Proletariat, u. hier in erster Linie bei der Jugend. – Im bürgerlichen Friedenau findet er natürlich nichts, was seinen Neigungen entspricht, wohl aber scheint er bereits versteckte Feindschaft zu spüren sowohl von Seiten des Pf. Menzel, wie auch von den Gemeindemitgliedern. Nach seiner recht temperamentvollen u. ausgezeichneten Predigt vor 14 Tagen, in der er gegen Rosenbergs Mythos des 20. Jahrh. tapfer vom Leder zog, hörte er beim Verlassen der Kirche, wie eine dieser pelzeingewickelten, protzigen Bürgersfrauen laut sagte: „den Menschen müßte man in's Gefängnis bringen“. –

     Er bestätigte mir, daß der „Kreis aktiver Katholiken“ sich ausschließlich aus diesen Bürgern zusammensetzt. Ich freute mich, zu hören, daß er, der Kaplan, sich von diesen Kreisen ganz entschieden fern hält. Er erzählte, daß im Gemeindehause unter Führung des Pfarrers eine Gründungsversammlung in Form eines Eisbein=Essens stattgefunden habe, zu dem er selbst nicht eingeladen worden sei, wohl aber Dr. Tetzlaff, – der aber nicht erschienen sei. So angenehm dem Kaplan es auch war, nicht eingeladen worden zu sein, so liegt doch darin eine deutliche Geste des Ausschlusses, – wie ja überhaupt diese ganze Rheingau-Gesellschaft durch die Art ihrer Gründung zu erkennen gibt, daß sie exklusiv zu sein wünscht. Es handelt sich eben um die „Vornehmen“, d.h. um die Leute mit Titeln u. Geld, die ja seit jeher für unseren Pfarrer die Leute sind, denen er seine Beachtung schenkt. Die anderen, die täglich in die Frühmesse kommen u. auch sonst ihr Christentum praktisch betätigen, sind für ihn keine „aktiven Katholiken“, – sie sind für ihn bestenfalls brave Leute, über die man wohlwollend hinweg sieht, oder sie sind die Objekte seiner spöttischen Scherze, Leute über die er sich lustig macht. – Ich habe mich bei Faensens sehr zurückgehalten, habe wenig gesprochen, um zu beobachten. Es scheint mir, als wäre der Kaplan das, was ich erwartete. Ich denke, daß er nun am Freitag Abend zu mir kommen wird u. dann will

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1935-03-13. , 1935, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1935-03-13_002.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2024)