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Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 451.jpg

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im Wildschen Hause zu Kassel, 13. Oktober 1812) hat folgende Abweichung: ein König verliert seine Gemahlin, mit der er eine einzige Tochter, Sneewittchen, hat, und nimmt eine andere, mit der er drei Töchter bekommt. Diese haßt das Stiefkind, auch wegen seiner wunderbaren Schönheit, und unterdrückt es, wo sie kann. Im Wald in einer Höhle wohnen sieben Zwerge, die töten jedes Mädchen, das sich ihnen naht. Das weiß die Königin, und weil sie Sneewittchen nicht geradezu ermorden will, hofft sie es dadurch los zu werden, daß sie es hinaus vor die Höhle führt und zu ihm sagt: ‘Geh da hinein und wart, bis ich wieder komme!’ Dann geht sie fort, Sneewittchen aber getrost in die Höhle. Die Zwerge kommen und wollen es anfangs töten; weil es aber so schön ist, lassen sie es leben und sagen, es solle ihnen dafür den Haushalt führen. Sneewittchen hatte aber einen Hund, der hieß Spiegel; wie es nun fort ist, liegt der traurig im Schloß. Die Königin fragt ihn:

‘Spiegel unter der Bank,
Sieh in dieses Land, sieh in jenes Land:
Wer ist die schönste in Engelland?’

Der Hund antwortet: ‘Sneewittchen ist schöner bei seinen sieben Zwergen als die Frau Königin mit ihren drei Töchtern’. Da merkt sie, daß es noch lebt, und macht einen giftigen Schnürriemen. Damit geht sie zur Höhle, ruft Sneewittchen, es solle ihr aufmachen. Sneewittchen will nicht, weil die sieben Zwerge ihm streng verboten haben, keinen Menschen hereinzulassen, auch die Stiefmutter nicht, die sein Verderben gewollt habe. Sie sagt aber zu Sneewittchen, sie habe keine Töchter mehr, ein Ritter habe sie ihr entführt, sie wolle bei ihm leben und es putzen. Sneewittchen wird mitleidig und läßt sie herein; da schnürt sie es mit dem giftigen Schnürriemen, daß es tot zur Erde fällt, und geht fort. Die sieben Zwerge aber kommen, nehmen ein Messer und schneiden den Schnürriemen entzwei, da ist es wieder lebendig. Die Königin fragt nun den Spiegel unter der Bank, der giebt ihr dieselbe Antwort. Da macht sie ein giftiges Kopfband, geht mit dem hinaus und redet zu Sneewittchen so beweglich, daß es sie noch einmal einläßt; sie bindet ihm das Kopfband um, und es fällt tot nieder. Aber die sieben Zwerge sehen, was geschehen ist, schneiden das Kopfband ab, und es hat das Leben wieder. Zum drittenmal fragt die Königin den Hund und erhält dieselbe Antwort. Sie geht nun mit einem giftigen Apfel hinaus, und so sehr Sneewittchen von den Zwergen gewarnt

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_451.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)