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Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 096.jpg

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Schafe hütet; ein Königssohn tötet den Wassergeist und heiratet das Mädchen. Aus Nigeria bei Dayrell p. 126 nr. 34 ‘The slave girl who tried to kill her mistress’. An Stelle des Bruders erscheint hier eine kleine Schwester der auf der Brautfahrt von der Sklavin in die Quelle gestürzten schönen Emme; ein Jäger erzählt dem Manne von dem belauschten Gespräche der Schwestern; dieser bewegt den Wassergeist durch ein reiches Opfer, ihm die rechte Frau herauszugeben, die nun ihre Nebenbuhlerin zu Tode martert.

Bei den indischen Kols (F. Hahn nr. 30 ‘Die beiden Waisengeschwister’) verwandelt sich der Bruder erst, nachdem seine Schwester vom König entführt ist, in einen Hirsch und wird vom König erlegt; aber die Schwester erkennt das Fleisch als Menschenfleisch und sammelt die Stücke, da wird der Bruder wieder lebendig. Ein anderes Motiv des Märchens begegnet in Benares bei Stokes nr. 2: eine tote Mutter erfleht vom Gotte Khuda, daß sie nachts in Vogelgestalt in ihr Haus zurückkehren darf; sie fragt den Pförtner nach ihren Kindern und dem Gatten und fügt hinzu: ‘Was für ein Tor ist euer König!’ Als sie weint, entfallen ihr Perlen, und als sie lacht, Rubinen. In der nächsten Nacht läßt der König den Vogel mit einem Netze fangen, zieht ihm die Zaubernadel aus dem Kopfe und hat seine Gattin wieder.

Wie hier, so kommt im Märchen von den drei Männlein im Walde (nr. 13) die Mutter aus dem Grab, ihr Kind zu tränken und zu pflegen; so auch in dem altdänischen Volksliede ‘Moderen under mulde’ (W. Grimm, Altdän. Heldenlieder S. 148. Grundtvig, DgFv. 2, 470 nr. 89 und 3, 868. Geijer-Afzelius² nr. 58) und in deutschen und französischen Sagen (Stöber-Mündel, Sagen des Elsasses 1, 93 nr. 125. Pröhle, Harzsagen S. 79. Wolf, Hess. Sagen nr. 153; Nld. Sagen nr. 175. 326. Bladé 2, 188. Le Braz, La légende de la mort² 2, 154). Melusine kommt nach ihrem Verschwinden zu ihren kleinen Söhnen Dietrich und Raimund, wärmt sie am Feuer und säugt sie; die Ammen sehen zu, wagen aber nicht zu sprechen (Désaivre, La légende de Mélusine 1885. Nowack, Die Melusinensage, Zürich 1886); ebenso tut eine Marte bei Kuhn-Schwarz, Nd. Sagen nr. 102. Vgl. Wackernagel, Kl. Schriften 2, 412. Uhland, Germania 8, 72. Mannhardt, Baumkultus 1, 103. Liebrecht, Zur Volkskunde S. 56.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_096.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)