Aber das alte Mütterlein mit dem krummen Rücken und den dürren Händen wollte nicht hingehn zum Feuer, sondern sprach: „Nein, junger Herr, ich will lieber erfrieren in der kalten Nacht, als mich zwischen Euch und Eure Thiere setzen.“
Brunnenhold zeigte ihr aber, daß seine Thiere zahm wären, und sprach: „Setz dich nur her, sie thun dir nichts.“
„Ja,“ sagte das Mütterlein, „ich wollt’ es wohl wagen, aber zuvor müßt Ihr mir erlauben, daß ich Eure Thiere mit Einem Rüthlein schlage, sonst möcht’ mich eins von ihnen beißen.“
Da ward Brunnenhold ungeduldig, und sagte: „Was! meine Thiere brauchen nicht geschlagen zu werden! sie thun dir nichts, setz’ dich nur her.“
„Ach ja, Herr!“ sprach das Mütterlein. „Laßt mich nur einen Streich jedwedem geben. Ich kann mich sonst nicht setzen; ich fürchte mich zu Tode. Laßt mich nur jedes mit der Ruthe sanft berühren.“ Und indem sie das sprach, trat sie näher hinzu, und zog ein dünnes Rüthlein aus ihrem weiten Mantel, und sprach zu Brunnenhold: „Seht, das kann ja nicht weh thun. Ich will Eure Thiere auch nur damit berühren. Erbarmet Euch doch mein! Ich kann mich sonst nicht setzen, und erfriere dann in dieser kalten Nacht. Schuck, schuck, schuck, schuck! wie friert mich’s!“
Albert Ludwig Grimm: Lina’s Mährchenbuch, Band 2. Julius Moritz Gebhardt, Grimma [1837], Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimm_Linas_Maerchenbuch_II_066.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)