Da liefen wohl einige Küchenjungen von dannen, aber doch nicht alle, denn sie hatten ja gesehn, wie zahm der Löwe war. Und als der Löwe zu Helgrita kam, legte er ihr das Halsband in die Hand, und faßte ganz sacht ihre Schürze, die sie vorgebunden hatte, und führte sie davon, erst an die Küchenthüre; dann bot er ihr den Rücken dar, und blickte sie an, daß sie wohl verstand, sie sollte sich darauf setzen. Aber sie hatte es kaum gethan, so lief er so schnell er konnte, von dannen. Und wie sehr sie auch schrie, man sollte ihn anhalten, so getraute es sich doch Niemand. Denn Alle fürchteten die Größe und Stärke des Thieres. Und als es die letzte Wache vom Schloßthore wagte, sich ihm entgegen zu stellen, so riß sie der Löwe am Kleide um im Vorüberrennen, und rannte ferner unaufgehalten bis an das Haus, da Brunnenhold innen war. Aber wer den Löwen springen sah, und die schöne Jungfrau auf seinem Rücken erkannte, erstaunte darüber. Und die Kinder, so auf den Straßen spielten, liefen mit Geschrei hinterdrein und Gelächter, denn sie erfreute die schöne Löwenritterin.
Brunnenhold lief ihr aber sogleich entgegen, und hob sie herab, und sie sank ihm in die Arme, und vergoß Zähren der Freude, daß ihr Erretter noch gekommen war zu rechter Zeit, und erzählte ihm die Bosheit des Köhlers. Da begehrte Brunnenhold von ihr, daß sie ihm heute noch
Albert Ludwig Grimm: Lina’s Mährchenbuch, Band 2. Julius Moritz Gebhardt, Grimma [1837], Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimm_Linas_Maerchenbuch_II_054.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)