Gottfried Keller: Zwei autobiographische Schriften. In: Nachgelassene Schriften und Dichtungen, S. 1 - 22 | |
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in den sicheren Einkünften, als in der entschlossenen Lebensäußerung.
Trete ich jetzt vielleicht mit hellerem Auge, als in meiner Jugend geschehen, neuerdings in die literarische Welt hinaus, so sieht es freilich auf den ersten Anblick bänglich aus. Der herrschende Industrialismus und die Wuth der Maler und Dichter, sich im römischen Cäsarismus, in der sogenannten Dekadenz zu baden, lassen uns fast der Verse Juvenals gedenken:
Wir nun treiben es doch und ziehn im lockeren Staube
Furchen und werfen den Strand mit fruchtlos ackerndem Pflug um.
Suchtest Du auch zu flieh’n, Dich hält im Netze des eitlen
Übels Gewohnheit fest, unheilbar hält in den Banden
Viele der Schreibsucht Leid und verdorrt mit dem krankenden Herzen.
Allein es ist am Ende nicht so schlimm, als es aussieht, und mehr oder weniger stets so gewesen.
Auch bei uns sind, wie in allen Literaturen, jederzeit drei von vier böse Kerle vorhanden, die wohl wissen, was recht ist, aber unablässig das Gegentheil davon thun, arme Bursche, die einst ihren Eltern nicht gehorcht und später keine Zeit mehr gefunden haben, sich selbst zu erziehen. Diese quälen sich aber selbst am meisten, und man braucht ja nicht hinzusehen. Dagegen ist gewiß, daß noch jetzt jeder, der etwas Rechtes will und kann, in der Regel auch ein anständiger und wohlwollender Gesell ist, der nach gethaner Arbeit sein kluges Pfeifchen in Ruhe zu rauchen versteht und nicht immer von bösen Mücken geplagt ist. Diese Zunft bedarf gar keiner besonderen persönlichen Geheimbünde; ihre Mitglieder brauchen sich nicht gegenseitig durch fortwährendes Vergleichen und Zänkeln und Eifersüchteln zu
Gottfried Keller: Zwei autobiographische Schriften. In: Nachgelassene Schriften und Dichtungen, S. 1 - 22. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gottfried_keller_autobiogr_11.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)