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Seite:Glueckel 037.jpg

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so gnädiglich beigestanden und geholfen hat, wie ihr folgendes lesen werdet:

Es war einmal ein frommer Mann, derselbe hatte zwei kleine Söhne und ein frommes Weib. Er hatte auch etwas Geld, davon er zehrte, aber er wußte keinen Handel zu treiben, nichts anderes als Talmud zu lernen. Und der fromme Mann wollte sich mit Gewalt gern ernähren, damit er sein Weib und seine Kinder ohne anderer Leute Gift und Gabe ernähren könnte. Aber das Glück wollte ihm nicht wohl, er war nebbich in Schulden gekommen, daß er die Leute nicht bezahlen konnte. Er hatte auch keinen, der für ihn hätte Bürge sein wollen, und die Leute, denen er schuldig war, verklagten ihn vor dem Richter. Also sprach der Richter das Urteil aus, daß, weil er nicht bezahlen konnte und er auch keinen Bürgen habe, soll man ihn ins Gefängnis legen, welches auch geschah. Nun, sein frommes Weib weinte eine große Weinung und sie wußte sich nicht mit ihren zwei kleinen Kindern zu ernähren. Und besonders, daß ihr armer Mann im Gefängnis saß und sie nebbich auch noch für ihn sorgen mußte.

Als sie nun in ihrem Jammern und Weinen war, kam ein alter Mann zu ihr und fragte sie, warum sie so weinet. Und sie sah, daß es ein so anständiger, ehrbarer alter Mann war, da erzählte sie ihm all ihre Not. Da sagte der alte Mann: »Hör auf zu weinen, denn Gott wird dir wieder helfen. Derweil dein Mann die Thora lernet, wird Gott deiner nicht vergessen, denn Gott läßt keinen Schriftgelehrten verfallen. Hilft er ihm nicht in der Jugend, so hilft er ihm im Alter. Ich weiß, daß Du dich viel plagen wirst, und wird dir und deinem Mann und deinen Kindern viel Wind unter die Augen gehen. Aber Gott wird euch alles zu gutem tun, wenn ihr es in Geduld tragen werdet.«

Und er tröstet sie noch mehr und gibt ihr einen Rat, daß sie eine Wäscherin werden sollte und den Leuten im Lohn ihre Hemden waschen. »So wirst du dich mit deinem Mann und Kindern ernähren können, wenn du dich nur nicht schämst, einen jeden anzugehen, daß man dir was zu waschen gibt.«

Empfohlene Zitierweise:
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_037.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)