Das andere Kraut ist die Hoffnung und der gute Rat, den ich mir selber gebe, daß ich alles für gut annehme und alle meine Schmerzen in Liebe aufnehme. Das ist mir ein guter Rat, daß ich in meinen Nöten nicht verloren werde.
Das dritte Kräutel ist, daß ich wohl weiß, daß ich gesündigt habe und wegen meiner Sünden in das Gefängnis gekommen bin und in die großen Schmerzen und Nöten. Nun, weil das alles wegen meiner Sünden geschehen ist, also bin ich ja selbst schuld daran. Warum sollt ich denn ungeduldig sein oder murren, wie geschrieben steht: ‚Euere Sünden stehen als Scheidewand zwischen euch und eurem Gott‘. Und darauf haben unsere Weisen gesagt, es kommen keine Schmerzen auf den Menschen, ohne daß er gesündigt hat.
Das vierte Kräutel ist dieses: Wenn ich ja ungeduldig werde und wollt es nicht erdulden, und würde murren in meinem Schmerz und Nöten, was sollte oder könnte ich tun? Könnte ich es damit anders machen? Es könnte ja noch viel ärger sein, denn wenn der König gebieten sollte, daß man mich töten sollte, müßte ich ja sterben, bevor meine Zeit gekommen ist. Alsdann wäre ja alles verloren, wie König Salomo gesagt hat: ‚Besser ein lebendiger Hund, als ein toter Löwe‘.
Das fünfte Kräutel ist dieses, daß ich weiß, daß mich Gott – gelobt sei er – zu meinem Guten straft, mit hartem Schmerz, erwartend, daß ich meiner Sünden auf dieser Welt ledig würde, und es wird mir das zukünftige Leben zuteil werden. Wie es heißt: ‚Wohl dem Menschen, den Gott mit Schmerzen straft‘. Also freue ich mich mit den Schmerzen. Und mit der Freude, daß ich mich darüber freuen kann, bringe ich eine große Woltat in die Welt. Wie geschrieben steht: ‚Jeder, der sich mit seinen Schmerzen freut, bringt die Erlösung in die Welt.‘
Das sechste Kräutel ist, daß ich mich mit meinem Anteil freue und Gott – er sei gepriesen – dafür danke, denn ich könnte mit eisernen Bändern noch mehr Schmerzen haben, man könnte mich schlagen, mit Stöcken und Ruten
Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_010.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)