gedrückt werden von Leiden, beweißt er sich uns nicht als die Liebe? Versüßt er uns nicht mit manchem Tropfen unaussprechlicher Wonne den bittern Kelch? Läßt er uns nicht so manches erfahren, was den Geist hebt, den Muth stärkt, das Herz leichtert, was wir später um keinen Preis nicht erfahren haben mögten? Wird uns nicht, gerade in den trübsten Stunden, der Freundschaft, der Liebe, des seltensten Vertrauens Heiligthum eröffnet? Werden nicht größtentheils in Mühen und Gefahren die edelsten Vorsätze, die heiligsten Empfindungen, die festesten Entschlüsse geboren, die schönsten Tugenden ins Leben geführt?
Christen, es ist die heilsame Gnade Gottes, die uns durch Leiden züchtiget! O laßt uns gegen ihre Züchtigungen uns nicht verhärten, nicht gleichgültig bleiben gegen die väterliche Erziehung, nicht durch einen fortgesetzten ungöttlichen Wandel noch strengere Erziehungsmittel nothwendig machen! Das sei jetzt unser ernstester Vorsatz, daß wir verläugnen alles ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt; daß
Johannes Geibel: Ermunterung zur Verläugnung des ungöttlichen Wesens. Lübeck 1807, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geibel_Ermunterung24.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)