Zum Inhalt springen

Seite:Eichhorn Einsegnungsunterricht 1917 133.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
10. Stunde
am Donnerstag, den 11. Oktober, Nachmittags.
Lied 559. Psalm 96. Kollekte 226, 55.
Die Zukunft der Kirche der Reformation.

Die Betrachtung der Reformation der Kirche hat uns zur Kirche der Reformation geführt. Die Reformation wäre nicht die richtige, keine kraftvolle Reformation gewesen, wenn sie nicht zu einer Kirche der Reformation geführt hätte. Es gab nur zwei Möglichkeiten, die eine, daß die ganze Kirche, die ganze Christenheit, das Zeugnis der Wahrheit annahm und sich auf eine höhere Stufe der Erkenntnis emporheben ließ. Wie herrlich wäre das gewesen, man möchte fast sagen, zu schön für diese Welt. Aber wenn und weil das nicht so kam, weil nicht die ganze Kirche das Zeugnis annahm, weil insbesondere der Papst ihm widerstrebte, so blieb nichts anderes übrig als daß eben eine sonderliche Kirche der Reformation erstand. Wir sind nicht so fanatisch und anmaßend, daß wir sagen wollten: unsere Kirche, die Kirche der Reformation, sei die Kirche schlechthin. Der Römischen und zum Teil der Reformierten Kirche müssen wir ernstlich den Vorwurf der Intoleranz machen, der Unduldsamkeit. Die Römische Kirche insbesondere erklärt sich für allein seligmachend und der Papst erhebt den Anspruch, daß alle Christen ihm angehören, und daß er berechtigt sei, sie unter Umständen mit Gewalt unter seine Herrschaft zurückzuführen. Der Reformierten Kirche kann wenigstens der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie da, wo sie sich ausgestalten konnte wie sie wollte, etwa in Zürich und Genf, mit ihrem Gottesstaat, den sie in alttestamentlicher Weise begründen wollte, auf eine falsche Bahn sich führen ließ, so daß sie auch Zwang in Glaubenssachen gebrauchte, wie zumal von Calvin schon erwähnt worden ist. Unsere Kirche ist auch nach dieser Seite hin zwar nicht ohne allen Flecken und Makel; doch im ganzen hat sie stets als duldsame Kirche sich gezeigt. Die Duldsamkeit liegt in ihrem Grundsatz, ihrer richtigen Erkenntnis desen, was die Kirche ist. Wenn die Kirche sichtbar ist durch Wort und Sakrament, so ist die Kirche eben überall noch vorhanden, wo irgend Wort und Sakrament noch gebraucht werden. Und so vermögen wir die andern Kirchen durchaus als christliche Kirchen anzuerkennen, nur das nehmen wir in Anspruch, daß unter den verschiedenen Konfessionen unsere Kirche die sei, die das Wort Gottes rein und lauter lehrt und die Sakramente nach Christi Einsetzung verwaltet. Unsere Kirche hätte sich am liebsten keine Sonderbenennung gegeben, sich am liebsten die „christliche“ oder wenigstens die „evangelische“ Kirche genannt. Da aber andere auch auf diese Benennung Anspruch erhoben, war