der bis dahin der lutherischen Richtung zugerechnet worden war, Heinrich W. J. Thiersch für sich zu gewinnen; dadurch hat sie in München und Augsburg und andern Städten besonders auch aus katholischen Kreisen Anhänger an sich gezogen.
Aber nun noch ein Wort über das Eindringen der Union.
Wenn man von dieser Mannigfaltigkeit der Richtungen hört, wie muß uns da Trauer das Herz beschleichen und uns der Wunsch beseelen, daß alle eins werden möchten, der Wunsch einer Vereinigung aller Gläubigen. Und Union heißt Vereinigung. Aber freilich, wir wollen eine Union auf Grund der Wahrheit, so hat sie auch Luther gemeint. Die Union von der wir jetzt reden ist von Menschen gemacht und wurde mit Gewalt des Staates eingeführt. Sie geht zurück auf Kurfürst Sigismund von Brandenburg, der 1613 zur reformierten Kirche übertrat. Er sprach große Worte darüber, daß er sein Gewissen nicht richten lassen könne von seinen Untertanen, aber auch über deren Gewissen nicht richten wolle. Im selben Atem aber sagte er auch davon, er wolle den abergläubischen Einrichtungen der Lutheraner bald ein Ende gemacht haben. Das Land folgte ihm bei seinem Uebertritt nicht nach; die Landstände hielten an der lutherischen Lehre fest. So entstand sehr bald bei ihm und seinen Nachfolgern der Gedanke einer Union. Der große Kurfürst suchte sie herbeizuführen durch das Verbot öffentlich gegen die reformierte Lehre zu predigen; aus diesem Grunde mußte, wegen seines Widerstandes dagegen, Paulus Gerhardt in die Fremde gehen. Der Nachfolger des großen Kurfürsten, Friedrich I. versuchte es auf andere Art; er setzte das Collegium caritativum, eine freiwillige Behörde ein, die auf eine Union hinwirken sollte. Dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm I. versuchte es mit Simultankirchen. Friedrich Wilhelm II. versuchte es durch ein gemeinsames Kirchenregiment. Das alles konnte die Eigenart der lutherischen Kirche abschwächen, aber ihr den Bekenntnischarakter doch nicht rauben. Friedrich Wilhelm III. war es, der aus tieferer kirchlicher Einsicht den entscheidenden Punkt erkannte für die Union, nämlich die Abendmahlsgemeinschaft. Gerade vor 100 Jahren auf den 31. Oktober 1817, als das 300 jährige Jubelfest der Reformation gefeiert wurde, erließ er eine Proklamation, daß an diesem Tage seine sämtlichen Untertanen, reformierte und lutherische gemeinsam zum Sakrament gehen sollten, damit die beiden Kirchen zu einer Union vereinigt seien, wie er es selbst in Berlin tun wolle. Das geschah nun zwar, machte aber Eindruck höchstens in den Städten; auf dem Lande waren meist Reformierte nicht vorhanden und es blieb im wesentlichen beim Alten. Aber der König ging einen Schritt weiter. Zum 300 jährigen Jubiläumsfest der Augsburger Konfession 1830, ließ er eine neue,
Wilhelm Eichhorn: Einsegnungsunterricht 1917. , Neuendettelsau 1919, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eichhorn_Einsegnungsunterricht_1917_131.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)