oder Märkten die Leute beim Glockenzeichen der Wandlung aus die Kniee niederfallen. Aber freilich, es ist etwas Aeußerliches, wenn es auch wohlgefallen und imponieren kann. Ich habe in katholischen Gegenden gesehen, wie an Feiertagen früh die Kirchen, aber nachmittags die Wirtshäuser stark gefüllt gewesen sind, ein grelles Gegenbild dieses äußern Gehorsams. Ueber den Stand der Sittlichkeit auf beiden Seiten gibt auch die sogen. Kriminal-Statistik d. i. die Zusammenstellung der vorgekommenen Verbrechen, die von den Gerichten bestraft wurden, ein bezeichnendes Bild. Da steht die katholische Kirche stark zurück, da zeigt sich, daß die Mehrzahl der Verbrechen gegen Leben und Eigentum auf katholischer Seite begangen werden. Das ist ein Punkt, den niemand hinwegstreiten kann, den man denen recht vor Augen stellen muß, die von katholischer äußerlicher Kirchlichkeit sich imponieren lassen. Es ist keine Frage, daß evangelische Landesteile durch größere bürgerliche Tüchtigkeit, durch Fleiß und Ordnungsliebe sich vor katholischen Landesteilen auszeichnen. – Nun zur reformierten Richtung. Anzuerkennen ist bei den eifrigen reformierten Christen der große Ernst des Heiligungslebens, der sie vielfach auszeichnet; aber es findet sich dabei ein stark gesetzlicher Zug. Merkwürdig ist zu sehen, wie Extreme sich berühren. Es gibt kein stärkeres Extrem als katholische und reformierten Art, wir brauchen nur an die heiligen Orte und den Schmuck der Kirchen zu denken und doch berühren sie sich vielfach. Den katholischen Fastengeboten entspricht auf reformierten Boden die gelöbnisweise übernommene Abstinenz, wie sie in Amerika geübt, ja als Zeichen der Bekehrung geradezu gefordert wird. Ferner, was den Eifer für die Sache des Reiches Gottes anlangt, der reformierterseits unverkennbar ist, muß hervorgehoben werden die Willkür, die vielfach entgegentritt. Was ist es Erschreckendes, wenn in Amerika hunderte von weiblichen Pfarrern vorhanden sind, dem Wort des Apostels, daß das Weib in der Gemeinde nicht reden soll, geradezu ins Gesicht schlagend. Das ist ein Geist der Willkür und Abkehr vom Wort. Vergleichen wir damit die Willkür römischer Kirchengebote. Denken wir ferner an das auf reformiertem Boden erwachsene Gesundbeten, das in verschiedener Gestalt auch in Deutschland hervorgetreten ist und vergleichen wir damit die Wunder, die katholischerseits in Lourdes und anderen Wallfahrtsorten geschehen sein sollen. Dann ist zu denken an die schwarmgeistliche Richtung reformierterseits, die sich vom Wort Gottes loslöst und auf unmittelbare Geisteseingabe stützt. Dem entsprechen römischerseits die angeblichen Erscheinungen von Engeln und der hl. Maria; wie bekanntlich der Gründer des Jesuitenordens Ignatius von Loyala durch ein solches Gesicht sich zum Stifter dieses Ordens berufen glaubte. Ein weiterer Punkt ist das Betonen der Heiligung im Unterschied oder Gegensatz zur Rechtfertigung.
Wilhelm Eichhorn: Einsegnungsunterricht 1917. , Neuendettelsau 1919, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eichhorn_Einsegnungsunterricht_1917_110.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)