worden war auch vor den Richterstuhl des Kaisers. Denn so sah es die mittelalterliche Kirche an: Die Kirche tut in den Bann und damit übergibt sie den Ausgestoßenen dem weltlichen Arm des Staates, der nun die Strafe vollstreckt. Wieder ist es bemerkenswert, daß die Sache nur langsam weitergehen konnte, weil für den Augenblick kein Kaiser da war. Im Jahre 1519 war der alte Kaiser Maximilian I. gestorben; er hatte noch von Luthers Auftreten gehört, die Sache von der politischen Seite aus beurteilt und dem Kurfürsten von Sachsen sagen lassen: „Hebet den Mönch gut auf. Wir wissen nicht, wo er uns noch nützen kann.“ Es dauerte längere Zeit, bis die Kaiserwahl zustande kam, die Karl V. traf. Friedrich der Weise, der gewählt worden wäre, hatte diese Würde abgelehnt. 1520 wurde Karl in Aachen gekrönt, 1521 kam er zum erstenmal nach Deutschland zum Reichstag in Worms, den er am 28. Januar eröffnete und auf welchem auch diese kirchliche Angelegenheit bereinigt werden sollte. Der Kaiser dachte sich das leicht; er meinte Luther ohne weiteres zum Schweigen zu bringen; aber damit kam er bei den deutschen Fürsten schlecht an. Sie hatten selbst hinsichtlich der kirchlichen Verhältnisse 101 Beschwerdepunkte aufgestellt und stellten das Verlangen, daß Luther vor dem Reichstag gehört werden müsse – ein starkes Stück dem Papst gegenüber, der ihn doch in den Bann getan hatte. So wurde Luther zur Verantwortung vor den Reichstag geladen. Am 18. April erfolgte sein herrliches Bekenntnis. Am 26. April reiste er wieder ab; auf 21 Tage hatte ihm der Kaiser freies Geleite gewährt. Am 8. Mai erfolgte die Einigung zwischen Kaiser und Papst, die sich in manchen Differenzen befunden hatten wegen der italienischen politischen Verhältnisse. In diesem Abkommen versprach der Kaiser dem Papst die Unterdrückung der kirchlichen Bewegung; doch erst am 26. Mai kam es zum Reichstagsabschied, dem Wormser Edikt, das auf den 8. Mai zurück datiert wurde. In diesem Edikt, vom päpstlichen Gesandten Aleander verfaßt, wurde Luther und alle seine Anhänger in die Reichsacht getan und damit außerhalb des Schutzes der Gesetze gestellt. Um dieses Wormser Edikt hat es sich durch Jahrzehnte hindurch immer wieder gehandelt, ob es ausgeführt werden müsse oder nicht. Gott hat es so gefügt, daß auf dem Reichstag zu Worms ein sieghaftes Zeugnis Luthers laut geworden ist und der Aufenthalt auf der Wartburg diente Luther zur inneren Vertiefung. Er kehrte bekanntlich gegen den Willen des Kurfürsten zurück wegen des Auftretens der Schwarmgeister. Das waren Ausläufer der ungesunden Mystik, deren Grundsatz dahin lautete, daß wahr ist, nur was man selbst erlebt hat. Die Männer die zunächst auftraten waren meist Handwerker aus Zwickau: Nik. Storch und Thomas Marx, beide Tuchmacher und Mark. Stübner, ein Literat. Dann gelang es ihnen aber,
Wilhelm Eichhorn: Einsegnungsunterricht 1917. , Neuendettelsau 1919, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eichhorn_Einsegnungsunterricht_1917_067.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)