daß er nicht in Rom gewesen wäre“. Für den Augenblick ist es nicht so entscheidend für sein Inneres gewesen. In den Jahren 1512–13 hat sich die entscheidende Wendung in ihm vollzogen und zwar durchs Wort der Schrift, durch den Römerbrief, den er ernstlich studierte. Wochen, Monate, lang hat er nachgesonnen was das Wort „Gottesgerechtigkeit“[1] bedeute, bis es ihm eines Tages aufging nach langem Suchen und Forschen aus dem Brief selbst heraus, daß damit die Gerechtigkeit gemeint sei, die Gott selber uns aus Gnaden gibt und die unsererseits im Glauben anzueignen ist. Damit hatte er den Grund gefunden, der seinen Anker ewig hielt. „Glaubst du, so hast du“, das war von dem an sein oft gebrauchtes kurzes Wort. Jetzt sah er die Schrift mit ganz andern Augen an. Bisher hatte er, wie er selbst sagt, auf jeder Seite der Schrift sein Todesurteil gefunden, das Urteil der wohlverdienten Verdammnis, jetzt fand er aus jeder Seite derselben die Verkündigung der Gnade. Auch die Schriften der Kirchenväter verstand er jetzt ganz anders, besonders die des Augustinus. Große Freude hatte er an den niederländischen Wahrheitszeugen, von denen wir zuletzt sprachen, die aus der rechten Mystik herausgewachsen waren. Insbesondere lernte er einen Traktat kennen, den er unter dem Titel „Deutsche Theologie“ herausgab als eine seiner ersten Veröffentlichungen. In den Vorlesungen ließ er auch schon merken, daß er einen andern Grund für sein Christentum gefunden hatte. Dabei war er noch mit allem Respekt vor der mittelalterlichen Kirche, ihren Einrichtungen und Ordnungen erfüllt. Wir sprechen zunächst noch nicht vom Reformationswerk selber, das wird Gegenstand des nächsten Vortrags sein, sondern von dem, was Luther zum eigentlichen Werkzeug des Reformationswerkes machte. Vor allem dies Erleben im entscheidendem Punkt; dann aber auch noch mehr. Wir bewundern an Luther die Klarheit seines Denkens, seine Aufrichtigkeit, seinen Mut, seine heilige Einfalt und innere Unabhängigkeit. Ihm war es in keiner Weise um den Beifall der Menschen, nur um seiner Seele Heil und Gottes Sache zu tun.
Besonders groß aber ist er in der Ablehnung falscher Stützen. Hiedurch unterscheidet er sich nicht am wenigsten von Hus und Wiclif und anderen, die vor ihm eine Reformation der Kirche anstrebten. Luther war wohl auch von dem Bewußtsein der Bedeutung erfüllt die er durch Gottes Gnade hatte. Noch in seinem Testament, das er am 7. Februar 1546, wenige Tage vor seiner letzten Reise, also kurz vor seinem Tode, verfaßt hat, spricht er das aus. Er sagt da, er brauche keinen Notar, da er selbst Gottes Notarius und ein Zeuge
- ↑ von Luther übersetzt „Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“
Wilhelm Eichhorn: Einsegnungsunterricht 1917. , Neuendettelsau 1919, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eichhorn_Einsegnungsunterricht_1917_048.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)