lebensvoller. Die Schrift ist Denkmal und Urkunde der göttlichen Offenbarung und die Offenbarung ist die in Wort und Tat geschehende Selbstbezeugung Gottes, welche abzielt auf das Heil der Welt, auf die Rettung der Menschen, die Herstellung des Reiches Gottes auf Erden. Diese Offenbarung geht durch die Geschichte hin und ist dann in der Schrift urkundlich niedergelegt und bezeugt. Diese Offenbarung, in der Schrift gegeben, muß nun, weil an vernünftige Menschen gerichtet, von den Menschen erfaßt, von der Kirche erkenntnismäßig angeeignet werden. Das geschieht gewißlich unter Leitung des heiligen Geistes, den der Herr seiner Kirche verheißen hat und der im Worte wirkt, aber diese erkenntnismäßige Aneignung des geoffenbarten Inhalts geschieht, weil sie eben durch Menschen sich vollzieht, allmählich, stufenweise, wir können wohl sagen: stückweise. „Stückweise“ sagt der Apostel an jener tiefsinnigen Stelle 1. Kor. 13, ist unsere dermalige Erkenntnis. Was wir jetzt erkennen, wir erkennen es doch immer nur teilweise und nur von einer Seite aus, einst erst werden wir recht erkennen, so wie wir von Gott erkannt sind. Diese allmähliche Aneignung des in der Schrift niedergelegten Offenbarungs-Inhaltes geht durch die ganze Geschichte der christlichen Kirche hin und hier liegt eben auch besonders die Möglichkeit des Fehlens und Irrens vor. Gerade im Kampf mit falscher Lehre und irriger Auffassung ist die Christenheit vielfach in der Erkenntnis gewachsen und dazu gelangt, die erkannte Wahrheit klar zum Ausdruck zu bringen. In dieser Möglichkeit des Fehlens und Irrens liegt die Notwendigkeit einer Reformation, aber auch die Möglichkeit einer solchen. Wenn die Kirche auch zeitweise auf Irrwege gehen kann, sie hat doch ihr Regulativ, ihre Zurechtstellung in sich selber, eben in dem Wort, das sie besitzt und das ihr nicht nur mündlich übertragen, sondern vielmehr in Schrift verfaßt mitgegeben worden ist. Es ist ein Irren möglich in der Kirche, aber auch eine „Zurückbildung,“ was Reformation eigentlich wörtlich bedeutet, eine Rückkehr zu den ursprünglichen Grundlagen und zugleich ein damit verbundener Fortschritt in der Erkenntnis ist möglich.
Und nun ist eben tatsächlich ein Verderben in die Christenheit eingedrungen besonders auf dem Gebiet der Lehre, doch auch auf dem Gebiet der kirchlichen Ordnungen und ihres ganzen Lebens. Wir werden sagen im Anschluß an ein Gleichnis des Herrn auf die Frage, woher das komme, „das hat der Feind getan,“ der Feind Gottes und der Menschen, der Feind der Kirche Jesu Christi. Er konnte die Kirche nicht durch äußere Macht und Gewalt unterdrücken, so suchte er sie zunichte zu machen, indem er den Unkrautsamen falscher Lehre in ihr ausstreute. Doch wir müssen, um das zu verstehen, uns den Gang der tatsächlichen kirchlichen
Wilhelm Eichhorn: Einsegnungsunterricht 1917. , Neuendettelsau 1919, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Eichhorn_Einsegnungsunterricht_1917_021.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)